Tales of Stupidity

Letztens hat mir mein Freund U.

Judith Hopf Tales of Stupidity

LETZTENS HAT MIR MEIN FREUND U. eine Geschichte erzählt, von so einem Mädchen, das irgendwo in Kalifornien bereits mehrere Wochen auf einem Baum sitzt und sich weigert, wieder auf den Boden runter zu kommen. Ihre Freunde bringen ihr die nötige Nahrung und Wasser. Sie sind sehr stolz auf ihre Freundin, weil sie das so durchziehen würde, mit dem auf dem Baum sein und sie könnten das auch gut verstehen, daß die da nicht mehr runter kommt. Alle seien mehr so grungig angezogen gewesen und eher "sensibel" drauf. Das Mädchen sagt, daß der Baum ihr total viel geben würde und daß ihre Entscheidung, dort oben auf dem Baum zu leben, auch ein Zeichen sei, gegen die Ungerechtigkeiten, die unten passieren.

Als ich die Geschichte gehört habe, bin ich sowieso gleich davon ausgegangen, daß sich das Mädchen in großen Gesten bezüglich der Welt übt, auch wenn sie sich zu der Frage nach einem Grund gar nicht erklärt hätte. Wenn man sich eine derartige Perspektive auf die Welt ausdenkt, in der man lebt, dann ist man bestimmt getragen von dem unbedingten Entschluß, eben diese zu erretten.

"They thought her totally mad,(...) But now that she had achieved knighthood, and thought and acted as she wanted and decided, for one has to act in this way in order to save the world, she neither noticed nor cared that all the people around her thought she was insane. (...)"
(Kathy Acker, Don Quichote)

Mir schwirrt in der letzten Zeit der Begriff "Stupidity" durch meinen Kopf.
Mit "Stupidity" verbinde ich nicht eine plumpe Nicht-Wissen-Wollen-Wo-Man-Hier-Ist-Sicht auf die Welt, die ihren Grund in Dumpfheit oder Ignoranz findet. Ich möchte "Stupidity" unterschieden wissen zu diesem "Nicht-Wissen-Wollen", ein Phänomen, das besonders dort anzutreffen ist, wo man an bestehenden Formen festhalten und diese meist mit dem Mittel der Wiederholung aufrechterhalten will.Diese "Stupidity" hat neben den Vor- auch Nachteile. Ganz offensichtlich zum Scheitern verurteilte Handlungen, deren ausgesprochene Ziele niemals an irgendeiner Stelle im Hier und Jetzt sich durchzusetzen scheinen, durchaus aber sollten, erzeugen ein großes "Hinterher". "Hinterher", wird man schon vorher darauf aufmerksam gemacht, könnte man sich dann ärgern darüber, daß man bei was mitgemacht hat, und daß das dann nichts "gebracht habe für einen" etc...Dies läßt sich als ständig gurgelnde Warnung zu jeder Form der Zusammenarbeit vernehmen.
Neben dem vorsätzlichen Handeln nach den Regeln der Stupidity, die übrigens ganz den gesellschaftlichen Konjunkturen entsprechend wechseln, gibt es also eine Erfahrung der Stupidity, die man besonders in Zusammenhang mit Begriffen wie "Effektivität" erleben kann. Lustigerweise geht das "Hinterher" immer stark davon aus, daß es im Vorher eine Bandbreite von Entscheidungsmöglichkeiten gegeben hätte, zu denen man sich strategisch verhalten könnte. Solche sich gegenüberliegende Entscheidungspaare wie "professionell" und "alternativ", oder "privat" und "öffentlich" zum Beispiel. Diese Polarisierungsmodelle bleiben zu untersuchen. Das "Hinterher" sieht die Dinge und Zusammenhänge eben nur von oben und vergißt, daß alle Entscheidungen in der horizontalen Reihenfolge, also nacheinander stattfinden (da kann alles mögliche von außen dazwischen kommen, zwischen diese Entscheidungspaare, zum Beispiel Liebe, Zeit, Geld etc...).

Neben dem Handeln und Erleben der Stupidity gibt es Geschichte dazu, wem Stupidity zugeschrieben wird. Als Künstlerin habe ich gelernt, immer dann besonders skeptisch aufzuhorchen, wenn Kunstproduktionen dem Feld der Stupidity zugewiesen werden. Ich meine das nicht verschwörungstheoretisch, wenn ich feststelle, daß die Zuschreibung der Stupidity für die Geschichte der Kunst von Frauen einen einigermaßen verheerenden Effekt hatte, sondern kann feststellen, daß diese Zuschreibung bis jetzt ihre Wirkung zeigt.

All diese Überlegungen haben mich dazu veranlaßt ein Gespräch über das Feld der Stupidity anzuzetteln. Hier wird es in den nächsten paar Starship-Ausgaben dann weniger darum gehen, Stupidity festzustellen oder zuzuschreiben, sondern ich will versuchen, das Prinzip und die verschiedenen Ebenen, auf denen mir der Begriff begegnet, etwas genauer unter die Lupe zu nehmen -wenn was klappt, könnte ich mir vorstellen, im Gespräch dann wo anders zu landen, als in einem "Hinterher"...
Im Gegenteil: "Stupidity", ist eine der wichtigeren Bestandteile von den Produktionen, die Junge-Bewegungen (im Sinne von "Neue Bewegung" sein) in den verschiedensten kulturellen Zusammenhängen fertig bringen und "neu" formulieren können. Hier ist Stupidity das, was erstmal Platz macht: Ein Insistieren auf ein Entkoppelt sein, um angestrebte Veränderungen durchzusetzen. Tausend quirlige Ideen im Kopf haben.

Judith Hopf Tales of Stupidity
Starship 1: Just what is it that makes today's Berlin so different, so appealing?
  1. Editorial #1 Starship
  2. Moontrip Ulrich Heinke
  3. Und täglich grüßt das Murmeltier Ariane Müller
  4. Golfen Katja Eydel
  5. ...ein guter Satz aus Zufall, meinetwegen! Michaela Eichwald
  6. Letztens hat mir mein Freund U. Judith Hopf
  7. Joan Semmel, Sylvia Sleigh, Audrey Flack Antje Majewski
  8. Ein schönes und intelligentes Ambiente Stefan Römer
  9. The Terror Starship Florian Zeyfang
  10. Wer ruft das Off von außen ? Ariane Müller
  11. gentrifikation / nullpunkt / broken windows* Nicolas Siepen
  12. „Die Beute“ - Relaunch Sabeth Buchmann
  13. Woher man denn kommt Isabelle Graw
  14. SituationistInnen und andere ... Katrin Pesch
  15. Immer noch Jim Dines Mülleimer Gunter Reski
  16. Futura 2000 Axel John Wieder, Christian Flamm
  17. Der NINA TEMPEL und HUCKS HAUS Elke aus dem Moore
  18. Primärfarben anscheinend verboten Gunter Reski
  19. Todesenthusiasten Petra Langemeyer, Heike Munder
  20. May 98 Kyron Khosla
  21. Was, wenn es Wirklichkeit wird ? Elisabeth Hautmann
  22. Grammatik: Schwierigkeiten bei der Anwendung des besitzanzeigenden Genitivs Frank Frangenberg
  23. Das Ende Mussolinis Linda Bilda
  24. Nutzen & Co Gunter Reski
  25. Domination and the Everyday Ulrike Müller
  26. Gegen Grenzproduktion in der Festung Europa
  27. Radek Oleg Kireev
  28. Polonia Express Tibor Varnagy
  29. Flauberts frühe Fickgeschichten Fabian Reimann
  30. Aus Alzheimer Helena Huneke
  31. Hallo neues Vorbild Gunter Reski
  32. Einige Fragen beim Lesen von Henry James Francesca Drechsler
  33. 100 Jahre Merve Hans-Christian Dany, Peter Gente, Heidi Paris, Ulrich Dörrie
  34. Reise mit Fragezeichen zur Minus 96 ins Ahornblatt nach Berlin Barbara Schüttpelz, Stephan Dillemuth
  35. Ich fühle daß mein Glück Kerstin Kartscher
  36. Jeder Mensch, der ein Bier falten kann, ist ein Künstler Ran Huber
  37. knife under pillow Phil Smith
  38. what's in the pantry today ? Massimo Richter
  39. Stirbt der Mensch als Künstler Dany Müller
  40. Anmerkungen zu Henry Bond Starship
  41. You're next Cathy Skene
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