Immer noch Jim Dines Mülleimer

JUNGE SZENE
Wiener Secession
9.7.- 30.8.1998

Die Fassade der Secession ist noch rot bemalt.

Der kirschige, fleckige Anstrich als Bestandteil einer vorherigen Ausstellung (von Marcus Geiger), hat nichts mit Junger Szene zu tun, paßt aber wie gemacht. Angesichts des simplen Eingriffs kann man fast erleichtert aufatmen, mit welcher Leichtigkeit, hier mal im umgekehrten Verhältnis, der fleckenhafte Anstrich die etwas überkandidelte Bauweise plattmacht. Vielleicht freut man sich so, weil sonst eher Ausstellungsarchitektur Ausstellungsexponate im Schwitzkasten hat.

Die Junge Szene Wien ist eine jährliche Jungkunstausstellung (seit 1981), die Kunst-DebütantInnen eine Chance gibt. In den letztem sechs Jahren fand die Veranstaltung mangels Erfolg nicht mehr statt. Dieses Jahr, vielleicht auch in Korrespondenz mit Österreichs EU-Vorsitz, wurde die Auswahl auch auf Nicht-ÖsterreicherInnen erweitert.

In jedem Fall betont das Pressepapier, die internationale Auswahl trage zunehmender Globalisierung nicht nur in Kunstkreisen Rechnung.

Sympathische antinationale Geste. Aus siebenhundert angeforderten Mappen wurden vierzig ausgesucht.

Wie in einer von Szeemann kuratierten Ausstellung mit KunststudentInnen ein paar Häuser weiter, geht hier der Trend auch teilweise Richtung Drittsemester, aber mehr noch zur vermeintlich jungen Szene ab 35. Als Lebensmodell hat es sich in Kunstkreisen ziemlich eingeprägt, bis vierzig in erster Linie BerufsjugendlicheR zu sein, wie angestrengt auch immer. Etwas später verschwindet man unwiderruflich in jene von Marktforschern gefürchtete Zielgruppe der „sleeper“.

Oft sehen Ausstellungen am besten aus, wenn alles fertig aufgebaut ist, aber Transport-, Verköstigungsmüll und so fort noch herumliegen. Mit diesem Ambientefaktor arbeitet die Inszenierung der Ausstellung gezielt und gelungen. Die große Zahl an TeilnehmerInnen fällt in der Ausstellung nicht weiter auf. Dafür kann die Mehrzahl der Teilnehmenden verantwortlich sein, weil ihre Raumbeanspruchung zu bescheiden ist. Oder sich im Gegensatz dazu sieben, acht andere Arbeiten ziemlich raumgreifend breitmachen.

Der positive Eindruck, den die Ausstellung als Gesamtinszenierung macht, verschwimmt eher, wenn man sich auf einzelne Arbeiten zubewegt. Beim Wegzoomen gefällt einem das Gesamtset aber wieder so gut wie vorher.

Entscheidend für das sympathischscheddrige Raumklima ist eine Fußbodenarbeit aus dünnen Rigipsplatten (von Monika Bonvicini), die sich im großen Raum unter allem breit macht, und stellenweise dann einkracht (ca. 5 cm tief), wenn sich zu lange mehr als 200 Kilogramm Besuchsmasse auf einem Fleck versammeln. Man denkt an den aufgestemmten Fußboden von Hans Haacke im dtsch. Pavillon bei einer der letzten Biennalen in Venedig, wenn man mitten im Gespräch ein paar Zentimeter tiefer sackt.

Die halbleer aggressive Dürftigkeit des Ausstellungsambientes ergibt sich weiter aus drei, vier lichtschwachen Videobeamprojektionen, einem halb geweißten Glaskubus (Elmgreen & Dragset), einem Papphäuschen mit viel Leergut und Rockmusik (B. Ondreicka) sowie einem raumhohen Kubus eingekleidet mit diversen bunten Stoffstücken, wie man das auch von Cosima von Bonin kennt. Abbildhafte Arbeiten, die „still“ auf der Wand funktionieren, sind in der mittlerweile standardisiert unkonventionellen Cluster- oder Haufenweise angebracht.

Fotoarbeiten kommen verhältnismäßig wenig und kleinformatig vor.

Gregor Zivic z.B. steht mit seinem Inszenierungsansatz für eine Art Anti-Photoshop- Programmatik. Für ein Foto baut er ein Realschwimmbecken (5cm tief) in seine bescheidene Gemeindebauwohnung ein.

Arbeiten mit direkt politischem Zusammenhang sind nicht vorhanden, was in Verbindung mit Wien als eine der letzten Hochburgen der Institutionskritik auch ein Statement sein könnte.

Wenn man bedenkt, wie lange Minimalismus mittels seiner akademisierten Aus- und Nachläufer hausieren ging, kann es einen eigentlich nicht wundern, daß mit einer bestimmten Art Westcoastkunst irgendwann ähnliches Nachbeten passieren würde. Jene epigonale Aufbereitung von Kienholz, Thek bis Kelley dürfte in dtsch. Provinzen gerade ihren Zenit überschritten haben.

Oehlen und Büttner haben mal vor zehn Jahren geäußert, es gebe keine reaktionärere Äußerung als jene, die sagt, das habe es doch schon mal gegeben.

Wenn man sich die Staatsmalerei Oehlens jetzt anschaut, macht diese Äußerung im nachhinein erstaunlich viel Sinn. So wie der Avantgarderhytmus einige Jahrzehnte im ständigen Sich-selbst-Überholen innovative Ansätze vom Zaune brechen mußte, befinden wir uns jetzt eventuell in einer ähnlich langanhaltenden Phase, bestehend aus lauter Wiederholspuren. Vierte Generation Institutionskritik, sechste Generation fifties-Malerei ...

Wenn solche Kunst aus Ketchupmentalität, StandupPerformance und überbordender Gesamtinstallation mitteleuropäisch nachgeeiert wird, schimmert nachher immer trotz offensivem Präsentationsgeramsche etwas Bildungsabsicht durch. Das kann dann die eigene Geburt nachgespielt in Boulevardperformance sein oder man stellt umfangreich den Bildprägungsapparat von Klaus Kinski, Blechtrommel bis B.Reynolds zur Schau, der die eigene Jugend visuell kontaminiert hat. Private Mythologie stehen zusammen mit Marienhof oder Ohnesorg-Theater im Stau.

In dieser Hinsicht haben die Arbeiten von J.Meese, J.Bock, Boris Ondreicka und Michael Roy jedenfalls eine fleißige Konsequenz an sich.

(Oder das Ganze gleicht dem Spiel dreizehnjähriger Nachwuchsgitarristen, die berechtigterweise Rock auch erstmal wieder neu erfinden müssen.) Nicht nur wegen der mauen Lichtstärke stehen viele der Videoarbeiten für eine grassierende Skizzenhaftigkeit einer bestimmten Medienbenutzung, bei der schnelle Machbarkeit und Offenheit als flirrende „Raumtapete“ oder auch divers aufflackernde Bedeutungsfetzen viel zu gut mit ebenso schnell machbarem Weggucken korrespondieren. Beispiel: ein Mädchen (die Künstlerin Katharina Daschner) schminkt sich die Lippen beim U-Bahn fahren, und falls man nach drei Min. nochmal am Display vorbeikommt, hat sie inzwischen konzentrisch weiter kreisend ihr gesamtes Gesicht mit Lippenstift bedeckt. Weniger deutlichen Videos der Ausstellung kann man jederzeit eine offensive flirrende Bedeutungsverweigerung zuschreiben, aber Augenpudding bleibt Augenpudding.

Verhältnismäßig gerecht wird in der Ausstellung berücksichtigt, was sich derzeit an Mediengenres so im Kunstgeschehen tummelt: selbst 3D-Animationen, konstruktive und naturalistische Wandzeichnungen (T. Heinzmann bzw. Michaela Math) oder abstrakte Malpositionen (A.Butzer) sind vertreten. Wenn noch mehr mit Natur dabei gewesen wäre, meinte eine Besucherin, hätte mir das gut gefallen.

Plakat/Katalog: Wally Salner
Starship 1: Just what is it that makes today's Berlin so different, so appealing?
  1. Editorial #1 Starship
  2. Moontrip Ulrich Heinke
  3. Und täglich grüßt das Murmeltier Ariane Müller
  4. Golfen Katja Eydel
  5. ...ein guter Satz aus Zufall, meinetwegen! Michaela Eichwald
  6. Letztens hat mir mein Freund U. Judith Hopf
  7. Joan Semmel, Sylvia Sleigh, Audrey Flack Antje Majewski
  8. Ein schönes und intelligentes Ambiente Stefan Römer
  9. The Terror Starship Florian Zeyfang
  10. Wer ruft das Off von außen ? Ariane Müller
  11. gentrifikation / nullpunkt / broken windows* Nicolas Siepen
  12. „Die Beute“ - Relaunch Sabeth Buchmann
  13. Woher man denn kommt Isabelle Graw
  14. SituationistInnen und andere ... Katrin Pesch
  15. Immer noch Jim Dines Mülleimer Gunter Reski
  16. Futura 2000 Axel John Wieder, Christian Flamm
  17. Der NINA TEMPEL und HUCKS HAUS Elke aus dem Moore
  18. Primärfarben anscheinend verboten Gunter Reski
  19. Todesenthusiasten Petra Langemeyer, Heike Munder
  20. May 98 Kyron Khosla
  21. Was, wenn es Wirklichkeit wird ? Elisabeth Hautmann
  22. Grammatik: Schwierigkeiten bei der Anwendung des besitzanzeigenden Genitivs Frank Frangenberg
  23. Das Ende Mussolinis Linda Bilda
  24. Nutzen & Co Gunter Reski
  25. Domination and the Everyday Ulrike Müller
  26. Gegen Grenzproduktion in der Festung Europa
  27. Radek Oleg Kireev
  28. Polonia Express Tibor Varnagy
  29. Flauberts frühe Fickgeschichten Fabian Reimann
  30. Aus Alzheimer Helena Huneke
  31. Hallo neues Vorbild Gunter Reski
  32. Einige Fragen beim Lesen von Henry James Francesca Drechsler
  33. 100 Jahre Merve Hans-Christian Dany, Peter Gente, Heidi Paris, Ulrich Dörrie
  34. Reise mit Fragezeichen zur Minus 96 ins Ahornblatt nach Berlin Barbara Schüttpelz, Stephan Dillemuth
  35. Ich fühle daß mein Glück Kerstin Kartscher
  36. Jeder Mensch, der ein Bier falten kann, ist ein Künstler Ran Huber
  37. knife under pillow Phil Smith
  38. what's in the pantry today ? Massimo Richter
  39. Stirbt der Mensch als Künstler Dany Müller
  40. Anmerkungen zu Henry Bond Starship
  41. You're next Cathy Skene
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