Domination and the Everyday

MARTHA ROSLERS Video "Domination and the Everyday"
von 1978 wurde im Rahmen der Veranstaltung "Kritiken des Privaten" (1) von Hemma Schmutz und Matthias Michalka in der Freien Klasse Wien gezeigt.

EINERSEITS IST DIESE ARBEIT ein Ausgangspunkt für Positionierung in Bezug auf feministische Kunstproduktion der 70er Jahre, andererseits erscheint sie mir vor allem auch in Zusammenhang mit einer in der Klasse stattfindenden Auseinandersetzung mit Texten und Praxisformen der Situationistischen Internationale (S.I.) spannend.

Im Video laufen drei Informationsebenen nebeneinander her und überlagern sich: In Standbildern sieht man unter anderem einen chilenischen Diktator (Pinochet), Werbung und andere Bilder aus Illustrierten und „Familienfotos“, auf denen Martha Rosler und ihr etwa 5jähriger Sohn mit verschiedenen Männern, potentiellen Vätern, zu sehen sind. Über die Bilder kriecht eine Schriftzeile, die das revolutionäre Potential der Bauern und Arbeiter in Chile, das nur durch offene Repression der Machthaber kontrolliert werden kann, einer von Massenmedien und Konsum ruhiggestellten, mit offenen Augen träumenden Bevölkerung in den USA gegenüberstellt. Zu hören ist eine alltägliche Situation, in der Rosler ihren Sohn zu Bett bringt. Im Hintergrund spricht ein Kunsthändler im Radio über Kunst in den 60er Jahren. Diese Tonspur läuft durch, während der Bild/Textteil zweimal unverändert aneinander geschnitten ist.

„Domination and the Everyday“ besteht, wie auch Guy Debords Film „Die Gesellschaft des Spektakels“, zum Teil aus Werbebildern. Auch bei der im Text verwendeten Sprachlichkeit und der formulierten Medien- bzw. Spektakelkritik gibt es Ähnlichkeiten zu situationistischen Texten. An einer Stelle verwendet Rosler ein Foto von 3D-Brillen tragenden Menschen, das sich auch auf dem Cover der amerikanischen Ausgabe von Guy Debords Buch „Gesellschaft des Spektakels“ befindet.(2) Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede in der Auswahl und Verwendung von Bildern: während Debord Schlachten, Pin-ups, Bürokraten, Arbeiter und anderes sein Weltbild bestimmendes Material zeigt, findet bei Rosler in den Abbildungen eine Bezugnahme auf vermeintlich Privates statt, das sich aber immer auch medialen Konstruktionen von z.B. „glücklicher Familie“ oder „gutem Aussehen“ bewußt ist.

Das eigene Leben und der Einfluß gesellschaftlicher Verhältnisse auf die zu Hause stattfindende Erziehungsarbeit werden zum Gegenstand der Analyse.

Man könnte sagen, daß „Domination and the Everyday“ situationistische Überlegungen zur „Revolution im eigenen Alltag“ mit dem feministischen Slogan „das Private ist politisch“ kurzschließt, was ja so gesehen auch naheliegend erscheint. Dennoch ist eine solche Rezeption der S.I. ungewöhnlich, was sich teilweise über das identifikatorische Potential der Bewegung und Vorstellungen davon, wie sich Radikalität manifestiert, erklären läßt. Bilder eines tatsächlich gelebten Alltags in der Situationistischen Internationale reproduzieren Darstellungen von trinkenden und theoretisierenden Bohème-Männern, die mit vereinzelten Ausnahmefrauen in Pariser Spelunken sitzen.

„Domination and the Everyday“ ist ein Modell feministischer Aneignung, das zeigt, wie unabhängig davon situationistische Überlegungen und Praxisformen verarbeitet werden können, ohne diese von vornherein kategorisch als Bubenkram abzutun.

 (1) Die Veranstaltung in der Freien Klasse Wien war eine kürzere Version von "Kritik des Privaten. Künstlerinnenstrategien der 70er und 90er Jahre" (Künstlerhaus Bethanien/Berlin, Dezember 1997)

(2) Zumindest auf dem Reprint der Ausgabe von 1977, erschienen 1980 bei Black & Red, Detroit.

Martha Roslers Videos sind bei Electronic Arts Intermix, New York, erhältlich.

Starship 1: Just what is it that makes today's Berlin so different, so appealing?
  1. Editorial #1 Starship
  2. Moontrip Ulrich Heinke
  3. Und täglich grüßt das Murmeltier Ariane Müller
  4. Golfen Katja Eydel
  5. ...ein guter Satz aus Zufall, meinetwegen! Michaela Eichwald
  6. Letztens hat mir mein Freund U. Judith Hopf
  7. Joan Semmel, Sylvia Sleigh, Audrey Flack Antje Majewski
  8. Ein schönes und intelligentes Ambiente Stefan Römer
  9. The Terror Starship Florian Zeyfang
  10. Wer ruft das Off von außen ? Ariane Müller
  11. gentrifikation / nullpunkt / broken windows* Nicolas Siepen
  12. „Die Beute“ - Relaunch Sabeth Buchmann
  13. Woher man denn kommt Isabelle Graw
  14. SituationistInnen und andere ... Katrin Pesch
  15. Immer noch Jim Dines Mülleimer Gunter Reski
  16. Futura 2000 Axel John Wieder, Christian Flamm
  17. Der NINA TEMPEL und HUCKS HAUS Elke aus dem Moore
  18. Primärfarben anscheinend verboten Gunter Reski
  19. Todesenthusiasten Petra Langemeyer, Heike Munder
  20. May 98 Kyron Khosla
  21. Was, wenn es Wirklichkeit wird ? Elisabeth Hautmann
  22. Grammatik: Schwierigkeiten bei der Anwendung des besitzanzeigenden Genitivs Frank Frangenberg
  23. Das Ende Mussolinis Linda Bilda
  24. Nutzen & Co Gunter Reski
  25. Domination and the Everyday Ulrike Müller
  26. Gegen Grenzproduktion in der Festung Europa
  27. Radek Oleg Kireev
  28. Polonia Express Tibor Varnagy
  29. Flauberts frühe Fickgeschichten Fabian Reimann
  30. Aus Alzheimer Helena Huneke
  31. Hallo neues Vorbild Gunter Reski
  32. Einige Fragen beim Lesen von Henry James Francesca Drechsler
  33. 100 Jahre Merve Hans-Christian Dany, Peter Gente, Heidi Paris, Ulrich Dörrie
  34. Reise mit Fragezeichen zur Minus 96 ins Ahornblatt nach Berlin Barbara Schüttpelz, Stephan Dillemuth
  35. Ich fühle daß mein Glück Kerstin Kartscher
  36. Jeder Mensch, der ein Bier falten kann, ist ein Künstler Ran Huber
  37. knife under pillow Phil Smith
  38. what's in the pantry today ? Massimo Richter
  39. Stirbt der Mensch als Künstler Dany Müller
  40. Anmerkungen zu Henry Bond Starship
  41. You're next Cathy Skene
pageview counter pixel