I won't be your mirror

Über Mulholland Drive, ein Film von David Lynch

Sebastian Lütgert über Mulholland Drive, ein Film von David Lynch

Kaum eine Rezension von Mulholland Drive, die nicht mit der Platitüde beginnt, bei David Lynch hätten und brauchten Geheimnisse keine Lösung, um sich im Folgenden statt an die Analyse des Films entweder gleich in den Nebel der ungelösten Geheimnisse der Kinematographie zu begeben (Hollywood, Liebe, und immer wieder: Tod des Kinos) oder doch zumindest auf die Suche nach Belegen für die These, Lynch mache immer denselben Film, und das sei auch gut so.

Dabei ist Mulholland Drive von seinen Vorgängern sehr verschieden. Bei Twin Peaks und Lost Highway handelte es sich um das große und das kleine Spiegeldrama: einmal um eine sehr komplexe Spiegelung, deren Achse das Wohnzimmer der bürgerlichen Familie ist, und einmal um eine sehr einfache Spiegelung, um die Gefängniszelle namens heterosexuelle Beziehung. Bei Mulholland Drive haben wir es dagegen nicht mit einer perfekt punktsymmetrischen Projektion zu tun, sondern mit einer zum Teil ziemlich unscharfen Verschiebung entlang einer Linie: jener Strasse, die dem Film nicht nur seinen Titel, sondern auch sein Thema gibt, und das ist nicht mehr das hermetisch geschlossene Private, sondern die auf die wirkliche Welt hin ziemlich weit geöffnete Stadt. Also zum ersten Mal bei Lynch eine Liebesgeschichte zwischen Erwachsenen.

Die beiden Teile des Films (deren jeweilige Produktionsbedingungen hinreichend bekannt sein dürften) führen auf sehr unterschiedliche Weise die zwei sehr verschiedenen Stadien der Verschiebung und zugleich deren Logik vor, die weniger die angebliche Dialektik von Verlieben und Verlieren ist, als vielmehr die Fiktion einer Übertragung sozialer Rollen: Betty (Laura, Renee), die Schauspielanfängerin und zukünftige Geliebte von Rita, wird zu Diane, der Ex-Freundin von Camilla; Rita (Madeleine, Alice), das amnesierte Unfallopfer, wird zu Camilla, dem Starlet mit Mafiaverbindungen; Camilla, das Starlet mit Mafiaverbindungen, wird zur Statistin; Coco, die Vermieterin von Bettys Tante, wird zur Mutter des Regisseurs; und nur Bettys Tante bleibt Bettys Tante. Wie überhaupt Mulholland Drive als jene Fernsehserie, die ABC nicht produzieren wollte, statt in einer von Zwillingen bevölkerten Familienhölle in einem Onkel-und Tantenuniversum gespielt hätte, in dem sich, wie wir seit Donald Duck wissen, statt bloß immer wieder Ödipus die ganze Welt erzählen lässt.

Die einzige Referenz an Twin Peaks wäre der Diner als öffentliches Zentrum des sozialen Lebens gewesen, in dem schon dort jene Verwandlungen möglich waren, die in der Familie meist tödlich enden, und wo die geheimen Botschaften ihre Adressaten selbst dann noch erreichen, wenn aus dem Off der Chor der Rezensenten tönt, Lynch habe Lacan überhaupt nicht gelesen. Und so dreht sich das Universum von Mulholland Drive um das Namensschild der Kellnerin, auf dem zuerst „Diane“ und dann „Betty“ steht, und zwar in jener Sprache, wie die das Unbewusste Feuilleton und Filmkritik zum Trotz strukturiert ist.

Starship 5: Zwei sind zu wenig - Cover Deborah Schamoni
  1. Editorial #5 Martin Ebner, Hans-Christian Dany, Ariane Müller
  2. Poem Mark van Yetter
  3. Zentralasiatisches Hochland – Gelände Friederike Clever
  4. Odessau Honey-Suckle Company, Simone Gilges, Zille Homma Hamid
  5. found artist N.Y. Jutta Koether
  6. Rudolf Leopold Porträt eines Sammlers Francesca Drechsler
  7. The great swindle of Neu Hans-Christian Dany
  8. Die Barrikade Ariane Müller
  9. Die Idee der Strasse ist vergessen worden Jesko Fezer
  10. Berlin Maps Shary Boyle
  11. moonboots Micah Magee
  12. Aus der Stadt Lina Launhardt, M.K.
  13. Civic Center Park Katrin Pesch
  14. Kristall. Christine Lemke
  15. O.T. (Odeon, Saint Honoré, Manfred Götzl Stilleuchten) Stefan Panhans
  16. displacement Daniel Pflumm
  17. The language monster Haytham El Wardany
  18. Eine Unterhaltung via E-Mail zwischen Haytham El Wardany und Ariane Müller, die zwischen Anfang September und November 2001 geführt wurde. Haytham El Wardany, Ariane Müller
  19. Impressum Starship 5 Ariane Müller, Martin Ebner, Hans-Christian Dany, Micah Magee, Stephanie Fezer
  20. In der Sicherheitszone Dorothée Klaus
  21. Die Nomaden des Kapitals Sebastian Lütgert
  22. 2001, Drawings Cristobal Lehyt
  23. A crack, not a boom Hans-Christian Dany
  24. speaking in tongues Natascha Sadr Haghighian
  25. Rio Helmut Battista
  26. Projekte und Existenzen Dietmar Dath, Barbara Kirchner, Stephanie Wurster
  27. Das Jahr 1979 findet noch statt Sabeth Buchmann
  28. Theorie der Sicherheit Carsten Zorn
  29. Was sind wichtige Momente eines Lebens? Biografische Stationen? Ariane Müller
  30. Früchte des Zorns Diana Mc Carty
  31. I won't be your mirror Sebastian Lütgert
  32. Psych-Out Ariane Beyn
  33. Kann ein Video-Mädchen lieben? Justin Hoffmann
  34. Krankheit Jugend Stefanie Fezer
  35. Das Double Eva Färber, Suse Weber
  36. Die sechsundvierzigste Minute der achten Stunde des elften Tages Ariane Müller
  37. Begriffsstudio Stephanie Fezer
  38. Hot Pot in Oslo Pierangelo Maset
  39. Plundered Florian Zeyfang
  40. Wels revisited Micah Magee
  41. Die Sonnenfinsternis im Norden hält an Nina Möntmann
  42. Get Rid of Yourself Bernadette Corporation, Le comité invisible
  43. "begin to think, about how we are to begin to begin" Klaus Weber
  44. Metallkrakenkrankenkanne Leichenroller Michaela Eichwald
  45. Motelhanoi Martin Ebner
  46. Cadaques Deborah Schamoni
  47. Rauchringe Christoph Keller, Jörg Keller
  48. straße Silke Nowak
pageview counter pixel