Eine Unterhaltung via E-Mail zwischen Haytham El Wardany und Ariane Müller, die zwischen Anfang September und November 2001 geführt wurde.
„Der Abschnitt über den Spion und das Schreiben auf englisch hat jetzt (nach dem 11. September) einen neuen Ton. Ich denke, jeder wird sofort „Schläfer“ denken. Ich musste darüber lachen, wie sich die Dinge verändern.“
Hi Ariane: im Exil schreiben... Exil ist ein nett-fremdes Wort, vielleicht das Gegenteil von zuhause, aber es beinhaltet auch, hinausgeschmissen worden zu sein, gegen seinen Willen, und das stimmt dann nicht immer. Ich denke, Exil ist das Gegenteil von Zuhause, wegen der Gefühle, die man daraus bezieht. Minorität zu sein, während man Zuhause in der Mehrzahl ist oder von der Mehrzahl umgeben, von der wir uns vielleicht distanzieren, im Exil jedenfalls ist man in der Minorität. Und kein Wunder, die größten Gefahren für Minderheiten bestehen ja nun darin, Mehrzahl sein zu wollen, vermehrzahlt zu werden, integriert zu werden, von der Mehrzahl verschluckt zu werden. Die andere Gefahr ist das Gegenteil, das Ghetto: die Türen zu schließen und keinen Kontakt mit der Mehrzahl haben zu wollen. Ich erinnere mich, dass ich als kleines Kind mit meiner Familie in Saudi-Arabien gelebt habe. Mein Vater hat dort einige Jahre gearbeitet. Wir hatten wenig Kontakt mit den saudischen Familien, die befreundeten Familien waren auch „Ausländer“, Ägypter, Palästinenser, Sudanesen, Libanesen, etc. Die übliche Sammlung von Leuten aus armen Ländern. Es war klar, dass meine Familie sich die zweite Gefahr ausgesucht hatte. Der Grund war der große Unterschied zwischen den zwei Kulturen: Frauen können nicht allein herumgehen, Kinder spielen nicht auf der Straße, keine Kinos, keine Cafés, blabla. Und dann fuhren wir wieder zurück.
Aber komisch war, dass wir einige Jahre später bemerkten, dass das, von dem wir dachten, wir hätten es dort zurückgelassen, in Wirklichkeit mit uns mitgereist war. Alles was wir dort nicht mochten, war mit den tausenden ägyptischen Familien, die dort gearbeitet hatten, still und langsam mitgezogen. Die „korrekte“ islamische Lebensart nahm den Platz der früheren Haltung ein.
Der Zeitgeist war angekommen. Komisch, oder?
Best regards, Heissam.
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Hallo Heissam,
vielleicht hätte die Frage nicht Exil heissen sollen. Vielleicht ist es ein Übersetzungs Missverständnis. Der Begriff, den ich eigentlich vermeiden wollte, ist mir wieder eingefallen, weil ich bemerkt habe, dass das Buch von Negri, das bei b-books unter dem Titel Ready Mix herausgekommen ist, in Wirklichkeit Exile heisst. Er verwendet den Begriff nicht bloß für eine Situation, die bedauernswert, aber nobel ist sondern ebenso unvermeidbar. Aber er sagt auch, es sei eine Transit-Situation, die sich zu einer lebenslangen Transit-Situation auswachsen kann. Und er sagt, er entscheidet sich, nach Italien zu gehen, weil sich in seinem Leben etwas ändern soll, und weil er aus diesem Transit-Gefühl wieder herauskommen wollte, das er immer noch hatte.
Ich überlege mir, ob du immer noch für eine bestimmte Situation oder ein Feld produzierst (falls du überhaupt mit dem Begriff Produktion etwas anfangen kannst). Umsomehr, als du Sprache verwendest (als Schreibender).
Sich selbst als Schriftsteller zu verstehen, führt doch dazu, sich Leser vorzustellen (und hier ist es auch wieder an Sprache gebunden). Wenn man sich zum Beispiel hier, all die neuen boomenden vernetzten deutschen Schreiber ansieht, die so gut in die Gesellschaft eingebettet sind und sie konstituieren, hattest du dann dieses Gefühl auch in Kairo? Die Vorstellung einer Karriere im literarischen Feld von Kairo?
Viele Grüße, a.
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Hallo Ariane, danke fürs Schreiben.
Über die Leser denke ich, hast du recht. Man braucht jemanden, der liest, was man geschrieben hat. Meine liebsten Leser sind meine Freunde, ich hatte eigentlich nie andere Leser. Wenn man etwas schreibt, beeilt man sich, es seinen Freunden zu zeigen, damit die es lesen und darüber sprechen, und später kann man es irgendwo veröffentlichen. Die Szene in Kairo ist ja weder so groß noch so divers wie hier. Normalerweise hat man alles gelesen, bevor es in einer Zeitschrift auftaucht. Aber zur Zeit, denke ich, richten sich meine Texte an eine „falsche“ Öffentlichkeit. Wenn ich jetzt arabisch schreibe, kriege ich meine inputs von einem Ort und gebe meine outputs woanders hin. Nun. Öffentlichkeit existiert auch im eigenen Kopf, während man schreibt, oder? Jedenfalls hat sich meine Öffentlichkeit, die ich mir vorstelle, von der Öffentlichkeit, die das lesen wird, was ich schreibe, mit der Zeit verschoben. Und diese Verschiebung ergibt einen neuen Platz, der manchmal gut sein kann und manchmal schlecht. Wie in den falschen Film zu gehen, manchmal gut und manchmal schlecht sein kann. Hmm, ich denke, das habe ich nicht klar ausgedrückt. Karriere? Glaube ich nicht. Ich schreibe ja, aber Karriere würde bedeuten, ständig präsent zu sein und periodisch zu publizieren. Dagegen hätte ich nichts, aber ich kann es nicht (bis jetzt habe ich nur ein Sechstel von einem Buch publiziert). Und eine Karriere mit Schreiben in Deutschland? Denke ich auch nicht, obwohl ich gerne mit dem literarischen Feld hier mehr zu tun hätte. Ich habe hier wenige schreibende Freunde (und es ist ohnedies schwierig, Freunde in Berlin zu haben). Ich denke, das Gefühl, eine Öffentlichkeit zu haben (egal, ob eine reale oder eine verschobene) wäre wichtiger als die Karriere. Vielleicht ist das auch das Gleiche. Aber wer würde hier lesen, was ich auf arabisch schreibe? Und ich kann mir nicht vorstellen, auf deutsch zu schreiben. So ist das auf englisch Schreiben ein Versuch, aus dem Gefühl, ein Spion zu sein, herauszukommen. Ein Spion hat ein unbekanntes Gesicht, das keiner kennt, ein Geheimnis. Er schreibt, aber keiner weiß, was zur Hölle noch mal er schreibt. In Kairo wäre ich natürlich nie auf die Idee gekommen, auf englisch oder in sonst einer Fremdsprache zu schreiben.
regards, Heissam
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Hallo Heissam, du hast die Schwierigkeit zu reisen einmal als Thema einer Geschichte verwendet, die du in Starship veröffentlicht hast, und ich denke, das macht auch wirklich den größten Unterschied. Die Verwendung der Welt, also die Vorstellung, dass man die Welt zum Reisen besitzt. Eine Vorstellung, die die meisten Menschen in Deutschland oder Österreich haben und damit ja auch den Eindruck, man kann über die Welt verfügen.
Reisen in die andere Richtung ist jedenfalls ungleich schwieriger. Hast Du diese Geschichte jetzt verlassen? Diese, wie du schreibst, Geschichte der Leute aus Arme-Leute-Ländern? Oder gibt es weiterhin eine Verpflichtung, dieses Subjekt zu sein, auch aus einem politischen Grund - weil dieses Subjekt für politisches Arbeiten wichtig ist (wie bei „Kein Mensch ist illegal“)?
Grüße, Ariane
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Dear Ariane,
ja doch, tatsächlich fühle ich neue europäische Flügel an meinen Schultern, jetzt, wo ich hinfahren kann, wohin ich will (?). Als ich vor kurzem nach Spanien fuhr, habe ich überhaupt nicht an meine Geschichte in Starship gedacht, erst als Du mich fragtest. Ich habe hier zusammengesucht, was ich darüber geschrieben habe.
Tourismus/Kolonialismus, und die Welt zu besitzen, das ist das eine Muster. Das andere Muster des Reisens ist die Reise zur Arbeit ins Ausland (Gastarbeit), üblicherweise wegen besserer Bedingungen und besserem Geld. Das ist das Reisemuster der armen Länder. Oder, anders, wenn Reisen hier in erster Hinsicht Tourismus evoziert (also Amüsement), würde Reisen dort Arbeit nach sich ziehen. Man fährt weg, arbeitet hart, und wartet auf die Ferien, wo man wieder dorthin zurückfährt, wo man herkommt, und das geht immer so weiter.
Arbeit steht zu Urlaub wie Geldland zu Gefühlsland. Ich kenne auch in Berlin eine Reihe Leute, die nirgendwohin fahren, außer einmal im Jahr, wenn sie ihre Familien besuchen. Und das sagt nichts über Integration oder Isolation, es sind nur andere Muster des Reisens, armes Reisen und reiches Reisen vielleicht. Die eine Weise lässt dich die Welt besitzen, die andere bringt dich dazu, sie aufzuspalten in wir und die.
Frei zu reisen, muss nicht unbedingt das Gefühl, die Welt zu besitzen, nach sich ziehen. Von der anderen Seite bewahrt dich die Nicht-Möglichkeit des Reisens vielleicht davor, zu glauben, die Welt zu besitzen sicher aber nicht davor, deine Identität zu zentralisieren. Und das hat den selben Effekt des Die-Welt-zu-haben, nicht wahr?
Die-Welt-zu-besitzen und der Eurozentrismus ist bereits nichts Europäisches mehr, sondern existiert in allen Köpfen. In nicht-europäischen Kontexten geht der Versuch, intellektuelle Gegenüber zu finden, immer in Richtung Europa, Westeuropa. In Kairo interessiert sich niemand für Kunst aus Osteuropa, und ich denke, umgekehrt auch nicht. Niemand in Indien interessiert sich für die Literatur des Nahen Ostens, und umgekehrt. Die anderen sind die Europäer und niemand interessiert sich für den Rest der Welt, es sei denn auf einem Folklore-Niveau.
Als Subjekt in der Politik von anderen Leuten? Ich habe daran nicht gedacht, mit „Kein Mensch ist illegal“ verbindet mich Sympathie, vor allem der öffentliche Aspekt. Vielleicht, weil ich diesen Aspekt der Politik überhaupt nicht gewöhnt bin (der Umstand, dass man auf den Straßen demonstrieren kann, fasziniert mich immer noch). Für die Leute hier steht es in einer Reihe politischer Aktionen. Das ist kulturelle Differenz, würde ich sagen. Oder?
Viele Grüße, Heissam.