Als Mitte wurde Pt.4

Kunst war in diesem Prozess ein Schlüsselwort, weil es das große gesellschaftliche Andere versprach. Wäre der Beweis notwendig, dass es das nun mal nicht gibt und Kunst das auch nicht leisten kann, könnte man ihn im Bezirk Mitte antreten.

Diesen Prozess in Mitte nun aber unter den Begriff Gentrifizierung zu fassen, schliesst einen Teil und auch die mögliche Erkenntnis aus diesem Teil der Geschichte aus, vor allem weil es in Berlin ja wirklich gentrifizierte Orte gibt (Prenzlauer Berg mit dem größten Bevökerungsaustausch überhaupt) und Orte, an denen man die Relativität dieses Ablaufs sehen kann (Kreuzberg, ist das jetzt gentrifiziert ? So richtig nicht). Warum also in Mitte ?
Zum einen, denke ich, weil das, was damals gewollt wurde, in den Demokratieforen, niemanden interessiert und zum anderen ohnedies als Geschichte nicht erwünscht ist. Die Darstellung einer marktwirtschaftlichen Entwicklung, wie sie der Begriff der Gentrifizierung suggeriert, ist der gewünschte Modus. Das passt in die vorgestellte Dynamik der Stadt und der Macher in ihr.
Die Vorstellung von Dynamik und der sie erzeugenden Personen ist in der vorherrschenden Geschichte dominant, weil notwendig. Notwendig für persönliche Biografien, wie für die internationale Platzierung der Stadt und für alles dazwischen.
Die Leute, die jenes ostdeutsche Demokratieverständnis am besten bedienen konnten und damit auch den breitesten Platz im neuen kulturellen Mitte bekamen, konnten und wollten in der Folge natürlich nicht als die basisdemokratische PC-heinis auftreten, die sie doch gerade eben noch vor dem Wohnungsbauamt gemimt hatten. Es war schnell abzusehen, dass die enthusiastischen Bürokraten der WBM in der Stadt nicht bestimmend bleiben würden.

Auch die Stadt, z.B. in ihrer Interessensgemeinschaft Partner für Berlin, benötigte das Bild des dynamischen Mittelstands, der die Gunst der Stunde erkennt, sie wieder erkennen wird können und der deshalb auch das erwünschte anzulockende Kapital würde verwalten können. Und schließlich auch der Mensch im Osten sollte nicht der sein, der ein drittes und nicht das westdeutsche Modell zum Kernstück seiner demonstrierenden Tätigkeit gemacht hatte, sondern der, der mit dem Untergenutztwerden des unternehmerischen Potenzials des Menschen, wie man ja gemeinhin sich die DDR vorzustellen hat, unzufrieden war und endlich auch seine marktwirtschaftlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte.
Deshalb hätte man gern ein internationales Modell wie die Gentrifizierung, womit Berlin auf die Augenhöhe anderer Metropolen der Welt gehievt werden könnte.

Nun, sichtbar ist, dass in Mitte ein Bezirk entwickelt wurde. Bevölkerung und Stadtstruktur sehen wohl so aus, wie man sich das damals auf den Reissbrettern westdeutscher Entwicklungsgesellschaften ausgedacht hat. Was hier aber zu einem ordentlichen Gentrifizierungsprozess fehlt, ist die Rolle der Künstler und kulturellen Billigmieter, die diese Gegend erschlossen haben sollen. Anzunehmen, sie wären ein besonderer Attraktor für den Bezirk gewesen, negiert den traumatischen Wunsch der Westdeutschen nach einer Altbauwohnung und die Wahrscheinlichkeit im Zentrum der Stadt hätte sich ohne sie nicht auch ein Zentrum gebildet. Sie waren nicht der Attraktor, aber sie waren auch kein Widerstand, und schon gar nicht in dem Ausmass, wie sie es damals bei der WBM versprochen hatten.

Dieser geringe Widerstand ist schade, wenn man noch eine Erinnerung an die Stadt in den 90er Jahren hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwo auf der Welt nochmals eine solche Vorlage, für den Aufbau einer andersgearteten Stadt geben wird, wie sie damals von der WBM gemacht wurde.
In manchen Fällen drängt sich allerdings auch die Vermutung auf, Ostdeutsche reinzulegen, wäre der große Spass jener Tage gewesen. Es gab eben kein echtes Gegenüber, gegen das man sich hier einen Platz erkämpft hätte, sondern halt nur dieses gesellschaftlich Schwache, das Soziale, das sich mal kurz als Partner fühlen durfte.
Und so ist jener spezifische Berliner Gentrifizierungsprozess mehr ein Lehrstück über die Selbsttäuschung und Täuschung einer sich als sozial und bewusst verstehenden Bürokratie, bei der noch nicht mal das eine explizit ausgesprochene Ziel von Jutta Weiz, die eigene Eckkneipe zu erhalten, erreicht wurde. Die ist jetzt ein portugiesisches Restaurant.

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