Als Mitte wurde Pt.3

Der Bezirk Mitte stand relativ leer. Bis auf wenige, die diesen Bezirk auch schon vor der Wende als ihr Viertel betrachtet haben, war die Wohnungs- und Gebäudestruktur, die man absichtlich hatte verfallen lassen, nicht eben einladend und deshalb nicht eben bevölkert. Kohleheizung, Häuser ohne Lift, die man übrigens bei den Billigsanierungen später auch nicht eingebaut hat, hängende Fussböden, Wände aus Schilfstroh, abgeschlagene Balkone; das hat auch in der DDR niemand gewollt und das war umgekehrt städtebaulich gewünscht. Mitte sollte entmietet werden. Die Stadt sollte sich in eine andere Richtung orientieren.
Nach der Wende zogen nochmals viele weg, die Möglichkeit, die Maueröffnung könnte nur eine kurze geschichtliche Episode bleiben, wollten viele nicht im Osten abwarten.
Ein weiteres wichtiges Element der Geschichte Berlin Mittes in den letzten 15 Jahren ist der rapide Wechsel in der Besitzerstruktur nach der Wiedervereinigung. Heute besitzt die Stadt, mit Ausnahme der Plattenbauten kaum noch Häuser in Mitte, damals besass sie so gut wie alle. Die wirklichen Besitzverhältnisse waren und sind Teil der deutschen Geschichte. Die alten, neuen Besitzer der Nachwendezeit verkauften die Häuser zumeist schleunigst an Investorengesellschaften oder andere kapitalkräftige Entwickler, die wiederum genügend politischen Einfluss hatten, die großzügigen Renovierungskredite, mit deren Hilfe die meisten Häuser saniert wurden, durchzusetzen.
Die Stadt, also die WBM, konnte diese Häuser bis zur Klärung der Besitzverhältnisse zwischenvermieten.

Der leere Platz und die kurzfristige Souveränität über nahezu alle Mietverhältnisse in Mitte, war also der Einsatz für Jutta Weizs Gegengesellschaftsmodell.
Der Wunsch war, in dieser unentschiedenen Übergangszeit möglichst viel zu "verstetigen". Möglichst viele Mietverträge und Kaufoptionen für jene zu ermöglichen, die sich in jener in Ostberlin erdachten demokratischen, basispolitischen Vorstellung ebenfalls denken mochten.

Man bekam, an einem Ort, der bereits massiv unter Entwicklungsdruck stand und für den es genügend Investoren gab, Raum, mit dem Versprechen, ein Gegenüber zur teuren, cleanen und monokulturellen, weil marktwirtschaftlich ausgerichteten Nutzungen zu sein, die in den neuen Planwerken für diese Gegend vorgesehen waren. Es ging darum, sagte Jutta Weiz, nicht dem dritten italienischen Feinkostgeschäft einen Ort zu geben, sondern eben jener spezifischen Berliner Projektkultur mit ihrem politischen Anspruch und ihrer Vorstellung von Stadtgebrauch. Sagte man Eckkneipe, Verein, Subkultur oder Kiezpolitik wars ok, sagte man Businessplan, gehobene Klientel oder internationales Kuratorenmodell, konnte man auf einen privaten Vermieter warten. Es gab also von Seiten der städtischen Planer und Beamten, die nach der Wende im Ostberliner Teil der Stadt in den Verwaltungen sassen, den Wunsch, den Bezirk Mitte gegen die gesamtstädtische Planung als gemischten Wohnbezirk mit Nutzungen, die nicht auf Umsatz aus waren zu erhalten bzw. zu etablieren. Dabei ging es, wie Jutta Weiz sagte, nicht nur um Kunst, sondern sowohl um Geschäfte, wie um Initiativen, billige Lokale, wie auch Wohnungen.

Die Annahme war die, dass es in Berlin (wenn nicht auf der Welt) wirklich genügend Leute gäbe, denen ein anderes Lebensmodell am Herzen lag, also Menschen, die die Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens- und Gesellschaftsentwurfs in Berlin durchsetzen wollten. Ich denke schon, dass diese Annahme einen Teil des Prozesses vor der Wende in Ostdeutschland ausgemacht hat. Und ich glaube auch, dass sich diese Annahme in den ersten Sommer als plötzlich überall Leute vor ihren neuen halböffentlichen Orten auf der Strasse in der Sonne sassen, zu bestätigen schien. Und dennoch, Jutta Weiz und die anderen hatten sich über ihre Partner getäuscht. Es ging den meisten Leuten, die sich damals an diese runden Tische setzten, schon damals nicht darum, das Soziale zu stärken, sondern es ging um billige Mietverträge, für die man durchaus auch den sensiblen Stadtbenützer mimte. Dennoch es hätte ja auch andere gegeben, die diese Konzepte auch teilten. Wir aber, denn auch ich hatte damals mit anderen einen Raum in Mitte, haben allerdings zum großen Teil die in uns gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, sondern haben uns hintereinander ohne besonderen Druck von aussen, in individuelle Wohnungen und Ateliers, in kommerzielle Galerien und Clubs zurückgezogen.

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