Als Mitte wurde Pt.2

Gentrifizierung galt in den frühen 90er Jahren sowohl als marktwirtschaftliches Prinzip, wie auch als Planungsinstrument. Der Begriff wurde in der Stadtplanung, zum Beispiel in Wien, wo ich damals damit zu tun hatte, durchaus positiv eingesetzt, um planbare Vorgänge der ökonomischen Sanierung der vor allem gründerzeitlichen Viertel der europäischen Städte zu beschreiben. Städtische Planung ist ja nicht nur die legislative Aufbereitung von Flächen für den Markt, sondern auch immer der Versuch, städtische Ökonomien im Griff zu behalten, ausgeführt von Beamten - so ausgesourct die Flächenverwertungsgesellschaften der Städte auch sein mögen -, die von den Erträgen, so sie sich nicht daran beteiligen lassen, was dann gemeinhin Korruption und Vetternwirtschaft genannt wird, finanziell kaum profitieren. Glaubt man Jutta Weiz, waren die ostdeutschen Planer, die damals noch in den Verwaltungen sassen, Mangel gewöhnt. Gentrifizierung als Schlagwort wie auch dahinterliegender Prozess war ihnen bekannt, gleichzeitig hatte sich aber in den ersten 90er Jahren eine wilde Freude über die neugewonnenen Möglichkeiten ihrer bemächtigt.
Hier auch Jutta Weiz.
Planer kennen eine Reihe von Instrumenten zur Steuerung städtischer Prozesse; Infrastrukturmassnahmen, Flächenerschließung, Flächenverkauf, Partizipationsprozesse, Enteignungen, Abriss, Mietpreisbindungen, Modellbauvorhaben bis hin zu gesamtstädtischen Bauvorhaben, wie den großflächigen sozialen Wohnungsbau, den sich allerdings kaum eine Stadt mehr leistet, um nur einige zu nennen. Gentrifizierung als steuerbare "soziale Aufwertung" im Vorfeld einer Anhebung der Flächenpreise ist in Städten mit hohem kommunalen Wohnbaubestand durch die sogenannten Zwischennutzungen und daran gebundenen Mietverträge tendenziell ein billiger gangbarer Weg, so die Bevölkerung generell wenig deviant ist, also auch brav wieder auszieht, was in Deutschland der Fall ist und es eine genügend große Schicht, nach oben sozial mobiler Menschen gibt - das waren die westdeutschen Studenten.
Es war ihnen also klar, meinte Jutta Weiz, dass in Mitte ein Gentrifizierungsprozess einsetzen würde. Städtische Planerinteressen, Investoren und zukünftige "Gentrifier" gab es. Was sie aber wollten im Wohnungsbauamt Mitte war, in ihren Worten, etwas anderes.
In ihren Worten war es der Versuch, im Stadtteil Mitte einen anderen gesellschaftlichen Entwurf zu ermöglichen. Es ging darum, den neuen Nutzungsvorstellungen wie sie eben im Planwerk Innenstadt ausgearbeitet wurden, bereits etablierte andere Strukturen vor die Nase zu setzen, die einen offenen, nicht marktorientierten Umgang mit der Stadt sicherstellen sollten. Sie selbst nannte als ihre ersten Ansprechpersonen Klaus Biesenbach, der später künstlerischer Leiter der Kunstwerke wurde und die Galeristen Harry Lübke und Friedrich Look. Jutta Weiz und vielleicht auch andere Beamte im Wohnungsbauamt Mitte waren auf der Suche nach Leuten, die ihnen langfristige, andere Konzepte versprechen würden, die jenen in Ostdeutschland und Berlin mit ihren Kirchenprotesten und zivilen Bürgerprotesten entwickelten neuen, integrativen, demokratischen Konzepten entsprechen würden. Nicht marktwirtschaftliche, sondern partizipative Modelle, die dem abzusehenden Boom in Mitte gegenüber platziert werden sollten und an denen die Gentrifizierungsprozesse dann nicht mehr vorbeikommen würden.
Ich finde die Darstellung, und sei sie eine grundlegende Selbsttäuschung über die eigenen Möglichkeiten, wie viele andere, der rund um den Mauerfall in und mit Ostdeutschland und Ostberlin entstandenen Vorstellungen von Veränderung, bemerkenswert.
Nennt man also den städtischen Prozess in Mitte klassisch Gentrifizierung, blendet man damit einen Teil der Berliner Geschichte nach dem Mauerfall aus, der ohnedies nur wenig Platz in dieser Stadt hat, nämlich die Vorstellung der Planer aus dem ehemaligen Ostberlin. Gentrifizierung als marktwirtschaftliches Prinzip beschreibt ja ein über den Markt geregeltes Prinzip, das Angebot und Nachfrage quasi ungestört für die Mobilität von Menschen verantwortlich macht. Künstler ziehen in dieser Vorstellung dorthin, wo es billig ist, weil keine Nachfrage besteht, Mietpreise steigen wiederum wenn die Nachfrage erhöht wird, weil Viertel nunmehr als schick gelten. Als planerisches Prinzip wiederum will Gentrifizierung nicht die städtischen Flächen der Bevölkerung überlassen, sondern Ziel ist eine Anhebung der Flächenpreise und die Steigerung von Steuereinkommen pro zu verwaltender Quadratmeterfläche.
Eine Stadtplanung, die eine andere Stadt haben möchte, die den Raum vor allem denen zur Verfügung stellen möchte, die damit mehr machen, als schlafen und konsumieren, und deren Stadtbenutzungsvorstellungen viel öffentliche, nicht-marktwirtschaftlich genutzte Flächen miteinschliesst, ja so was wie ein Gegengesellschaftsmodell wünscht und das nicht irgendwo in einem netten Viertel, nein, mitten in der Mitte der Stadt, in dem eigentlichen Regierungsbezirk, wird im Gentrifizierungsprozess üblicherweise nicht beschrieben.
Und im Fall von Berlin hatte sie ja einiges in der Hand.

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