Volltext mit Bildboom

Möglicherweise kennt jemand die beiden Hotspots dieses Textes gar nicht: Linguistic Turn und Pictorial Turn? Wir bewegen uns mittenhinein in den Themenpark der Kunstgeschichte und anverwandter Kulturwissenschaften. Der Zoom auf meiner Tastatur sucht Hauptschauplätze in diesem kulturellen Terrain. Jahrhundertealte Bibliotheken, mit einer Luft nur gefüllt aus Schweigen und dunstenden Buchstaben. Man kann seine Zunge auch direkt beim Pförtner abgeben. Schluckauf bedeutet hier mittelfristig ein Berufsproblem. Dauergäste können hören, wenn ein Geistesblitz im richtigen Winkel auf die Kleinhirnrinde prallt. Geisteswissenschaften sind auch eine gut getarnte Fantasy-Fraktion. Ich hab nichts gegen Kunstgeschichte. Das war nur die Einleitung.

Dort sind die beiden Ein- und Ausgangsbegriffe zu Hause. Der erste Begriff ist ein 1a Tiptop-Term, um den niemand herumkommt, selbst wenn er/sie bloß Cultural Studies betreibt. Pictorial Turn wäre inzwischen gerne ein Modewort, hat das anscheinend aber nicht ganz geschafft. Man sollte ihn aber nicht allzu schnell vergessen wollen. Das wäre ein Vorschlag im Text.

Wenn es auch nicht alle wußten, spätestens mit dem Auftauchen des smart-worts ”pictorial turn”, haben viele zumindest erfahren können, daß ihre kulturelle Sozialisation bisher unter dem geisteswissenschaftlichen Primat des sogenannten ”linguistic turns” stattgefunden hat. Es handelt sich auch um ein typisch akademisches Behauptungsgefecht. Wenn Bilder so klug wären, wie Text manchmal sein kann, könnten sie nicht so schnell sein. Und was nützt dem Text all seine Gescheitheit, wenn er aufgrund seiner Grundbedingung Linearität, immer zu spät um die Ecke kommt. Oder manche ihm aufgrund seines Codecharakters nicht weiter folgen mögen. So eine Art Dauerolympiade der Sinnesorgane kommt auch mit ins Spiel. Hermeneutisches Ohr gegen wissenschaftliches Auge ?

Um es kurz sagen, es interessiert (mich) weniger, ob der Pictorial Turn eventuell doch noch Kulturmaxime wird oder als Begriff datierungstechnisch womöglich seit dem ersten Atompilz versteckt am Wirken ist oder oder.

Im visuellen wie im textuellen Terrain ist es jeweils die entsprechende bildliche Ebene, die mein Anliegen füttert. Mein Anliegen kann immer noch nicht besonders gut mit Besteck umgehen. D.h. es kleckert mitunter auch so ins Blaue hinein. Das Händeln mit einer bestimmten Art von Methaphernbillard sowie symbolträchtigen Bildkreationen bringt auf die Dauer mit Glück nicht nur bessere Resultate mit sich, sondern auch vage Einblicke in die Handicaps einzelner Medienbegebenheiten. Ein Bild erscheint mir mitunter etwas feierlich, ein Text dagegen etwas flüchtig. Oder am nächsten Tag umgekehrt. Von daher plagt mich schon länger eine kleine Glücksvorstellung, wie es wäre, die von mir gern besuchten Vorteile der einzelnen Medienpanels unter einen Hut zu bringen.

Medienhierarchien im Hellen und im Dunkeln

Beide zuvor genannten Begriffe stehen sich, um gegenseitigen Ausschluß bemüht, ziemlich unfreundlich gegenüber. So läßt sich jedenfalls die bisherige in Dtl. etwas schief gelaufene Rezeption (siehe October/77, Privileg Blick, Methodenstreit, Texte zur Kunst) wieergeben. Der Ausschlußmodus lautet fast Sprach- gegen Bildkraft oder Denke contra Gucke.

Wenn jetzt jemand sagt, unser/euer/ihr Gesellschaftssystem ist sprachfixiert und textdiktiert, bildet sich dieser Umstand sofort auch formuliertechnisch ab.

Boulevardjournalistisch zugespitzt, geht es darum, welches Medium gesamtgesellschaftlich als Informationstransmitter absolutes Hoheitsrecht über Geschehen jeglicher Art hat. Ganz so ernst ist es natürlich nicht. Niemand muß sich fürchten oder freuen, die Tagesschau demnächst ohne ein einziges gesprochenes Wort zu verstehen.

Diese Art Gegenüberstellung ist eher heikel, wird hier im Text aber eher probehalber zwecks besserer Textdramaturgie zugespitzt. Diese eigentümliche Polarisierung läßt sich auch so beschreiben: eine punktuell einmalige Sinnreizung tritt im k.o.-Modus an gegen eine meterlange Zeichenkette, die dann ein jeweils personengebundener Wahrnehmungsapparat tapfer durch seine individuellen Gehirnwindungen wandern läßt.

Linguistic Turn als ein Bestandteil von Geisteswissenschaft u.a. meint, bestmöglichst alles von Welt mittels Sprachstruktur fassen/erklären zu können. Die Legitimation dazu ergibt sich aus einer vermeintlichen Omnipotenz von Sprache, alles irgendwie beschreiben zu können, was nur irgend existiert.

Der Linguistic Turn ist eng gekoppelt an ein bestimmtes Niveau von Zivilisationsleistung, womit sich einhergehend die Möglichkeit zur Reflektion und Selbstkritik und weiter Selbstbesserung überhaupt erst ermöglicht. Denkt man so. Dagegen hat die Vorstellung von künftig einer Zivilisation, die sich ausschließlich durch visuelle Signale gegenseitig vergewissert und Inputs hin und her schickt, im Sinne einer Gläubigkeit an Aufklärungsorgane schnell etwas Redundantes, fast wie die drohende Abschaffung des Alphabets.

Es läßt sich ja tatsächlich in beinahe alles mögliche eine Art von Sprachsystem als (virtuell) roter Faden hineinbeamen, worauf sich dann an diesem entlang Erklärungen nahezu aufdrängeln. Selbst ein Umstand wie Dieselmotor ist damit annähernd verbal nachzuvollziehen.

Einen sehr hohen Grad an Sprachgläubigkeit kennzeichnet beispielsweise die Auffassung, bevor etwas nicht einen Begriff verpaßt bekommen hat, würde es noch gar nicht existieren. Weiß der Apfel, daß er ab dem Moment, wo er Apfel heißt, jetzt nicht nach Birne schmecken darf ?

Die Text-Bild-Differenz macht wieder komische Geräusche

Oder um es weiter fachspezifisch auszuleuchten: ”Society is a text.” (W.J.T.Mitchell) wäre ein hart komprimierte Kurzversion des Begriffs. Natürlich mit einer andern Qualität von Kommafehlern. Ausgehend von der Semiologie und deren Grundleistung, alles auch als Zeichensystem begreifen zu können, liegt es nahe, nicht nur Literatur mittels Literaturanalysemethoden zu durchleuchten, sondern eben auch andere kulturelle Felder wie Kunst und Film.

Verständnistechnisch ist es hilfreich, sich nochmal die gegenläufige Vorläuferposition in Erinnerung zu rufen. Diese forcierte eine extrem formale Fetischisierung eines möglichst reinen Seherlebnisses. Dank Clement Greenberg und des von ihm stark geförderten amerikanischen abstrakten Expressionismus gab es damals (vorerst) letztmalig einen strikten Kriterienkatalog, wie Kunst, meist Malerei, auszusehen hatte. ”Reine Visualität bedeutete die Präsenz der atemporalen, essentiellen Form, die Realisierung oder zumindest annähernde Manifestation des alten platonischen Traums, der sich nun paradoxerweise in der Welt der visuellen Erscheinung, nämlich der flachen Oberfläche einer Leinwand, niederschlug.” (Martin Jay) Dem Ex-Trotzkisten Greenberg war es ein Anliegen mittels dieser flächigen ”optischen Reinheit” einen Gegenpol zum ”Warenkitsch der Massenkunst” aufrechtzuerhalten. Das war ernst gemeint. Ein typisches Argument dieser Haltung z.B. dem Surrealismus gegenüber, dem Greenberg reaktionäre Tendenzen unterstellt hatte, wurde dann in seiner genauen Umkehrung zu einem der Hauptzüge des L-Turns: Wurde dem Surrealismus aus Greenbergs Sicht dessen künstlerische Redlichkeit abgesprochen, weil dieser eine bestimmte ‘beredte’ künstlerische Umsetzung eines vermeintlich direkten Drahtes zum Unbewußtsein als produktiv in Kauf nahm, wurde in der Post-Greenberg-Ära genau eine solche Kopplung, wenn auch kaum noch zum Unbewußten, die Grundbedingung für ernstzunehmende künstlerische Arbeit. Das grundlegend unterschiedliche Verständnis wird auch sehr deutlich an den verschiedenen Einstellungen dem Blick gegenüber: das Kunstparadigma Greenbergs verabsolutiere einen starren Blick, wie er in Wirklichkeit fast nie gegeben sei, es sei denn, man begegne gerade mal wieder Gott. Demgegenüber plazierte der L-Turn stärker eine flüchtige, temporäre Art der Wahrnehmung, die dann die vorherige kulturelle Pole-Position als Okularzentrismus und Retinalkunst (Duchamp) problemlos diffamieren konnte. Oder noch drastischer wurde diese Haltung als Fetischismus gebasht, der ”ein Moment der Trennung, der Segregagtion und Isolation, ... , ein Moment der Idealisierung; Mystifizierung und Anbetung sei.” (Victor Burgin)

Zur Umbewertung des Umstandes ”Bild” hier eine Antwort von Derrida, auf die Frage, was das (Bild) wohl sei: ”Nichts weiter als eine andere Schriftart, eine Art graphischer Zeichen, die vorgibt, eine direkte Abschrift des von ihr Repräsentierten oder der Erscheinungsform der Dinge oder ihres Wesens zu sein.”

Diese Einschätzung brachte nebenbei auch langfristig eine zunehmende Annäherung bezgl. der Wertigkeit von Text- und Bildinstrumentarien mit sich, die zuvor strikt in Primär- und Sekundärarbeit klassifiziert waren. ”Das Projekt der Gleichberechtigung von Produktion (künstlerischer Arbeit) und Rezeption (Kunstbetrachtung und Konsumkultur)” (S.Buchmann) wurde damit sozusagen in Angriff genommen, aber eher nur annäherungsweise temporär umgesetzt. Die vermeintlich überwundene Text-Bild-Dichtonomie mittels Linguistic Turn ist dabei eine Sichtweise, die mehr von der Textposition kommt. Eher von der Bildposition gedacht, könnte man ebenso sagen, daß innerhalb bestimmter Text-Bild-Differenzen durch Text codiertes Wissen das westliche Kunstgeschehen dominiert hat. Die Berechtigung kann man nicht in Abrede stellen, wenn man material- bzw. bilddiktierte Kunstmacharten vor Augen hat. Ungeachtet dessen lassen sich auch auf dieser textinspirierten Arbeitsweise inzwischen allzu gängige, widerum auch formalisierte Arbeitsweisen ausmachen, die in ihrem spezifischen Instrumentarium in nichts an Oberflächlichkeit nachstehen, wie dies vordem einem best. Farbzonenzenmalerei vorgehalten wurde. Im wesentlichen geht die Kritik zu Lasten einer Umsetzung, die materiellen Entsprechungen als Kunst zunehmend verdinglichten Fußnotenstatus einräumt.

Pictorial Turn ist als Begriff eventuell darum unbeliebt, weil er mitten in eine chronische Kulturbredouille zwischen , - um es sehr lax der Verdeutlichung willen kurz zu personifizieren -, Adorno und Walt Disney geschlittert ist. Diese Bredouille kennzeichnet letztlich eine Art verschleppten Kulturkampf zwischen der Aufklärung und Kulturindustrie. Aufklärung steht für besseres Wissen, Geisteskraft und Reformoption durch Analyse und Reflektion, ups. Kulturindustrie synonym zu Massenkunst, Warenkitsch, gesellschaftliche Redundanz durch Hollywoods Allover.

Wer hinter dem Linguistic Turn eher emanzipative bis progressive Faktoren sieht, vermutet beim Pictorial Turn mindestens konservative Strömungen am Werke. Fraglich, ob das so einfach ist. Wenn sich der Hinweis, bedenkenlose Bildbejahung sei immer auch Kennzeichen und Stilmittel vieler Diktaturen gewesen, mit dem Gegenargument trifft, das medienkritischen Stimmen gern äußern, die Darstellung von Gewalt sei gleichzusetzen mit deren Vervielfältigung, wenn nicht gar Propagierung, merkt man monokausale Schwächen in diesen Argumentationslinien.

An den beschriebenen diffusen Text-Bild-Differenzen könnte man bereits eine Berechtigung des Begriffs ”Pictorial Turn” sehen, wenn hierdurch eine mögliche Falschgewichtung von Sprache neu ausjustiert würde.

W.J.T. Mitchell hat den Begriff Anfang der Neunziger lanciert und eher defensiv ins Spiel gebracht. Schaut mal, da ist was, das könnte gehen. Beinahe etwas umgekehrt angelegt, weil es sich doch so viel verändert in der Medienlandschaft hat, daß auch neue aktuelle Begrifflichkeiten automatisch vom Himmel fallen könnten. An sich bleibt der Begriff als Vorschlag bisher zaghaft im Schimären stecken. Das reicht von der nach wie vor ungeklärten Gretchenfrage ”Was ist Bild ?”, bis zu typischen Medialisierungsphantasien ,- technologische Sehhilfen ”koppeln uns vom Sehen ab” -, und definiert sich kantig bisher nur übers Negative, wie üblich in solchen Fällen. ”...Dieses Bedürfnis , ‘unsere Sprache’ gegenüber ‘dem Visuellen’ zu verteidigen, ist - so scheint mir - sicheres Zeichen dafür, daß tatsächlich ein Pictorial Turn stattfindet.” (W.J.T.Mitchell) Wegen unfreundlicher Zitiertechnik hier ein Weiteres, das Mitchells Vorhaben in besserem Licht verdeutlicht: ”Daß Erfahrung oder ‘die Fähigkeit zu lesen’, nicht zur Gänze nach dem Modell der Textualität erklärbar sein dürfte.” Und dann kann auch noch Heidegger helfen: ”... wie in jeder philosophischen Erkenntnis nicht das entscheidend werden muß, was sie in den ausgesprochenen Sätzen sagt, sondern was sie als noch Ungesagtes durch das Gesagte vor Augen legt ...”. Weiter sei diese Problemlage beileibe keine neue, aber in Zusammenhang mit um sich greifender Medialisierung, stelle sich diese Frage jetzt drastisch dringend. Wie und womit aber ließe sich das besser greifen ? Mitchells Lösungsansatz funktioniert zumindest namenstechnisch mit Überraschungsmomenten: Panovsky, eventuell unterschätzter Kunsthistoriker, und Althusser (Marxist) könnten seiner Meinung nach in einem Crossover-Theoriemix am ehesten für Befreiungsschläge aus der beschriebenen Sackgasse zu gebrauchen sein. Das geht, stark verkürzt, circa so: Panovsky hat eine Art Mehrebenenmodell (s.Tabelle) im Zuge der von ihm stark forcierten Ikonologie entwickelt. Dieses benötigt für ein visuelles Referenzsystem den Textapparat nur noch bedingt. Aufgrund seines Bezugsrahmens für 19.Jahrhundert-Kunst rutscht es jedoch immer noch in altbekannte, sich selbst schmierende Meistererzählungen ab, wodurch dann die Ideologiekritik Althussers ins Spiel kommen muß, da bei Panovskys Ikonologiesystem immer noch zu sehr der Logos das Ikon absorbiert, was aber eben besagtes ideologiekritisches Instrumentarium verhindern könnte. Was das genauer heißen könnte, wüßte ich auch gern, aber vorstellen läßt sich hoffentlich doch ein wenig, was gemeint sein könnte.

Bei der Entscheidungsfindung, woran sich stichhaltig festmachen ließe, welcher von beiden strittigen Termen denn die größtmögliche aktuelle Gültigkeit habe, wird auf einen eher obskuren Umstand zurückgegriffen. Es nennt sich das Unbewußte. Mit der Frage dahinter, via welchem Informationsträger, sich das Unbewußte zu äußern pflegt. Ich träume immer zeilenweise, aber ein Sonderfall tut hier nichts zur Sache. Das Unbewußte, wenn es mal kurz ins Weltliche hineinblinzelt, äußert sich am ehesten in verschwommenen Bilderreigen auf der Netzhaut von hinten. So jedenfalls einer Konsensmeinung zufolge, die für den P-Turn sprechen sollte, ( und deren Nickfaktor wahrscheinlich ähnlich groß ist, wie die Antwort zur Frage, ob die Sonne gelb ist. ) Demgegenüber muß man nur kurz an Freudsche Versprecher als verbales Frühwarnsystem denken, um diese Einschätzung wieder zu relativieren.

Für eine konkrete Akzentuierung des Begriffs stand bisher Rosalind Krauss, die damit auch für eine deutliche eigene Umpositionierung gesorgt hat. Wenn die ursprünglich mal progressive Interdisziplinarität mittlerweile als Ausbildungsprofil millimetergenau auf den flexibilisierten Kulturmanager paßt, stinkt der Fisch von hinten. Anstatt mit einem Pardigmenwechsel namens ”Pictorial Turn” dekadenweise zu laborieren, mutmaßt sie, besser gleich den passenden Hebel im Jahrhundertrhytmus zu suchen. Ihrer Argumentationslinie zufolge, ist der Lingustic Turn als emanzipativer Drehmoment ausgehend von seiner ursprünglich brauchbaren Gleichschaltung/Nivellierung von Text zu Bild (siehe Schilderung zum L-Turn oben), ins Uferlose weiter in interdisziplinäre Gleichmacherei ausgefranst, und hat, was in den USA das schlimmste ist, damit letztlich sogar der Kulturindustrie zugearbeitet. Für den deutschen Subregionaldiskurs ist dieses Feindbild des amerikanischen Regionaldiskurses schwer nachvollziehbar, wenn man hier nur Bertelsmann und gerade noch Leo Kirch kennt. Hierzulande läßt sich nach wie vor schlecht gegen amerikanischen Kulturimperialismus argumentieren, weil man letztlich fast für diesen dankbar sein muß, wenn die Alternative nur eine Steigerung des ominösen typisch-deutschen zur Folge hätte, was eh schon grassiert. Krauss wirft letztlich den von ihr entscheidend mit durchgesetzten Positionen (musealen) Ausverkauf vor und dreht sich sozusagen auf dem Hacken um, ‘zurück’ wieder zu einer vermeintlichen Avantgardeposition. Wie verstaubt das auch erstmal wirken mag. Neuerliche Elitebildung schützt vor verlängerten Ladenöffnungszeiten. Krauss argumentiert erheblich sachlicher: solche Einschätzungen, ob ihres jetzt möglicherweise konservativen Standpunkts sind für sie unerheblich. In dem Moment, wo es ums eingemachte Wesentliche geht, -das sind in diesem Fall ausdifferenzierte Wissenschaften-, zählen solch Klein-Klein-Rangeleien wie Links oder Rechts-Option nicht. Für ausufernde Interdisziplinarität im Sinne einer Runternivellierung zugunsten der Kulturindustrie an amerikanischen Universitäten spricht ein neuerdings gegebener Studiengang namens Visual Studies, von dem z.B. die zuvor eigenständige Kunstgeschichte absorbiert wurde. Oder anstelle von Romanistik als eigenständigem Studienfach gebe es künftig nur mehr Europäische Sprachen im Wissenschaftsangebot. Das stärke nicht nur den Verwaltungsapparat, sondern zerstöre bereits mittelfristig unwiederbringlich Fachkenntnisse. Wenn es keinen Meisterbrief mehr für Schuster gibt, wird demnächst verstärkt barfuß gelaufen.

Diese Art von Deskilling (Verlust v. Fachwissen) beobachtet Krauss im Bereich bildender Kunst schon länger. Wenn Arbeitsmethoden vermeintlich typischer Konzeptkunst sich im wesentlichen aufs Konzeptionieren, Planen, Verwalten, Delegieren, etc. beschränkten, ahmten diese als Künstlerrollen allzusehr Management- und Bürokratieberufsbilder nach. In dem bekannten Sinne, daß Ausgangsstrukturen immer stark die sich darin entwickelnden Inhalte vordefinieren, sei dieses Role-Model mittlerweile nur konformistisch gesellschaftsimmanent. Rückbesinnung auf Maltechnik ist nicht damit gemeint. Eher geht es sukzessive um Rückzug und Sondierung neuen Terrains. Daß sich dies bis jetzt eher auf tradierte Avantgardemodelle bezieht, macht es nicht besonders interessant. Zieht man dazu das derzeitige Pollock-Revival (im amerikanischen Regionaldiskurs) in Betracht, könnte man fälschlicherweise bei der Greenberg-Schülerin Krauss beinahe auf eine mentale Rückbesinnung hin auf ihren Lehrer tippen. Wie stark diese Art Diskurs immer noch den bundesdeutschen prägt, sieht man auch an der Tatsache, daß der Direktimporteur solcher Diskurse ”Texte zur Kunst” dem Thema Avantgarde die nächsten zwei Ausgaben widmen wird.

Falls es an dieser Stelle um ein Zwischenergebnis bis Resümee gehen sollte/kann, verhält sich die eher kulturkritische Sichtweise auf den P-turn. wie jene Anekdote um die eine kaputte Synapse, die dafür sorgt, daß eine synapsengeschädigte Person, beim Verlauten des Wortes Kugelhagel nicht mehr unterscheiden kann zwischen der bloßen Nennung eines Begriffs im übertragenen Sinn und dem unwiderruflich drohenden Tatbestand eines realen, auf sie zusausenden Kugelhagels. Diese Person wirft sich also bei dem ausgesprochenen Wort ”Kugelhagel” jedesmal mit Todesangst zu Boden. Die dahinter lauernde Positionierung, also beschleunigte und quantifizierte Medienpotenz sorgt für Rezeptionsbehinderung, spricht eher für eine Positionierung, die auch schon den Tonfilm verhindern hätte wollen.

Es gibt kaum ein Kunstwerk ohne Textproblem, umgekehrt aber jede Menge Texte ohne Kunstproblem. Das wäre circa die Kurzversion der westlichen Kunstwelt unter dem Linguistic Turn. In diesem Sinne wären umsortierte Grundvoraussetzungen für ein paare Jahre lang interessant durchzuprobieren. Und als nächstes dann das ganze (Textkonvolut) 1:1 als Bild. Pro7 hat gerade die Nachrichtenagentur ADN aufgekauft.

(Hier im Heft kann man in Diedrich Diederichsens Text hübsch nachlesen, wie jemand die Äußerungen seiner Gesprächspartner stets in eigene Gesichtsmimik zu transferieren pflegte.)

Natürlich ist es nicht so, wie der Textlauf hier ein wenig fälschlich nahelegt, daß das eine mit dem andern selten in Verbindung käme. Man muß jetzt einfach in eine Zeitung schauen. Dort bildet sich eine Möglichkeit an Text-Bildkombination zugunsten von Text fortwährend ab. Wenn in einem bestimmten Buch verheißungsvoll steht, weder der Text solle hier Bilder illustrieren noch umgekehrt, dann läßt sich dieser (haltlose) Anspruch nur in geschriebenen Worten darstellen, und eben nicht bildlich. Wenn das gelänge, wäre ein wünschenswerte Verschränkung von Bild und Text ermöglicht, für die der P-Turn meinem Verständnis nach wünschenswerterweise sorgen sollte. Oder guck Dir ein Bild im Museum an, und dann auf das Titelschildchen, dort verhält es sich eher umgekehrt. Die Zwickmühle im speziellen wird deutlich, in Anbetracht eines gekonnt gemalten oder fotografierten Schimpansen, den man an sich unverfänglich in Augenschein nimmt, bis z.B. die Worte ”kann auch töten” darauf geschrieben werden. Bei einer anderen Medienkonstellation wie Film plus Ton läßt sich bekanntlich immer das Phänomen beobachten wie die Suggestivkraft eines beliebigen Filmschnipsels rapide steigt, sobald nur irgendein dramatisches Dumdideldum dazu aufspielt. (Der Musik dabei kommt der vermeintlich selbstlose Part zu, die laufenden Bilder profitieren von ihr als eine Art akustische Kosmetik. Oper(ette)n oder Videoclips nutzen diesen Effekt mehr in umgekehrten Verhältnissen aus.)

So beschrieben läßt sich beobachten, in Medienkonstellationen verschiedener Kulturformate ist immer eine Medienhierarchie gegeben, bei der der untergeordnete Medienpartner auf die Rolle eines redundanten Zulieferers domestiziert wird. Wenn der Pictorial Turn dafür sorgen könnte, daß das aufhört bzw. sich mehr angleicht, wäre ich dafür. Gegen den andern Term bin ich eh. Das ist auch ein Künstlertext und bisher haben noch alle MalerInnen das falsch verstanden. Leider ist das schon wieder keine ja/nein-Frage.

Bei neueren, jüngeren Medienformaten sind Ausgangsbedingungen eher in Richtung flache, und sogar flexible Hierarchien gegeben. Im (leidigen) Internet kämpfen - zunehmend mit verbesserter Übertragungsrate - die hinter dickem Glas etwas fehlplazierten Formate statischer Informationstext und hektische Minianimationen um einen dort sehr kurz gehaltenen Konzentrationswillen. Beim multimedialen Ex-Hoffnungsträger CD-ROM sind zwar auch meist unter- oder übergeordnete Verhältnisse gegeben, hier aber könnten sich die zuvor beschriebenen Zuliefer- und Hauptrollen nach Belieben schnell abwechseln. Ratzfatz vom standard Info-Geklicke zum Hörspiel zum filmischen Textballett oder zu relativ selbstbestimmten Videoplots, wozu bisher aber anscheinend niemand Lust hat, das zu realisieren.

All das nur unter Berücksichtigung unter der eingangs beschriebenen theoretischen Text-Bild-Bredouille. Bei monomedialen Arbeitsweisen drängen sich eben schnell andere, nicht weniger knifflige Fragwürdigkeiten auf.

Die Text als Bild - und die Bild als Textoption ohne Ende

Nimmt man als Beispiel die erwähnte hundertmeterlange Buchstabenkette, die auch dieser Text gerade noch in meinem Kopf ausmacht, wird erstens anschaulich, was mit bildhaftem Sprachgebrauch gemeint ist, und zweitens soll damit beschrieben sein, wie sich diese ‘interne’ Visualität von Metaphern manifestiert, nämlich weitgehend kaum, bzw. unsichtbar im geistigen Auge des jeweils Lesenden. Das hält den Einfalls- bzw. Ausfallwinkel sehr weit offen, in dem die Metapher im ”Bildträger” Lesergehirn jeweils ‘piktualisiert’ werden kann. Wenig, was beide beteiligten Seiten mit nach Hause nehmen könnten. Diese Art von ‘visualisiertem’ Lesen, - man kann zur Abwechslung auch mal Rentnerschwemme imaginieren -, könnte die Wahrnehmungskonstellation sein, in der sich das rein Textliche und rein Bildliche fast in Tuchfühlung kommen. Ähnlich wie die Verständnismöglichkeit weit gespannt ist, läßt sich diese Art der Bilderzeugung schwer steuern. So bleibt es solchen Textmitteln vorbehalten, Assoziationsknospen auszustreuseln, die gegebenenfalls für Unterhaltung und/oder schnellere Einsicht gut sind. Das wohlbekannte Beispiel mit Nähmaschine und Regenschirm veranschaulicht die schwer zu steuernde Schubkraft an Assoziationsmöglichkeiten, für die dann am Ende immer nur noch eine Bezeichnung übrig bleibt: Poesie oder Kalauer. Zudem ist diese Art Allegorie- bzw. Methaphernbildung nur in einem fest begrenzten Aktionsradius möglich. Diese Einschränkung ergibt sich zwangsweise aus zum einen allgemein bekannten Dinglichkeiten (oder es wird zur Subcodierung, Geheimsprache ...) und zum andern, noch entscheidender, ist eine bestimmt `fehlgeleitete´ Namenhaftigkeit überhaupt an konkret Dingliches gekoppelt. So wie z.B. ”arm”, egal ob in Klein- oder Großschreibung, schon einen brauchbaren Fundus für Wortspiele birgt, während ”Konjunktur” z.B. erheblich weniger Möglichkeiten bietet, höchstens was mit Junk. Konkret Dingliches ist insofern ein heikle Bezeichnung, da natürlich Konjunktur, wenn gegeben, auch sofort etwas sehr real existentes hat. Wenn man das weiter eingrenzen möchte, kommt man unter Vorbehalt auf ein Kriterium, das, was sich anfassen oder fortschmeißen liesse, daraus kann man auch Metaphern generieren.

Eine weitere, weitaus entscheidendere Prämisse für diesen sprachlichen Multiplikationsmodus ist die Doppel,- bis Mehrfachbelegung bestimmter Buchstabenkombinationen mit z.T. stark divergierenden Bedeutungsrichtungen. Eine beliebte These Wittgensteins, jeder Klanghof eines Wortes habe auch ein Entsprechung in seinem Bedeutungshof, finde ich nur bedingt überzeugend. Bei dem Beispiel ‘Haus’: schwingt erstens nur ‘Hau’ und zweitens ‘aus’ mit.) Die erwähnte Mehrfachbelegung ein und desselben Worts mit verschiedenen Bedeutungshöfen läßt sich auch als behelfsmäßige Konstruktion eines Sprachapparats lesen, bei dem dann wieder ganz klassisch dilettantisch aufgrund von Fehlern äußerst produktive Querschläger zustande kommen können, wie besagte poetische Konstellationen. Denkt man an die Umschreibung ”heiße Öfen” für flotte Motorräder, findet man nur über Umwege zum Ursprungswort ”Back- oder Kohleofen” zurück.

Wobei sich teilweise auch von verbalen Homologien reden ließe, in dem Sinn, daß sich etymologisch von einem ursprünglich identen Wortstamm aus, einfach so ein ganz neues Dingsystem gebildet hat, wie der HiFi-Bereich, wo Ton-Arm selbst aufgrund nur entfernter Ähnlichkeit erstmal im Sprachgebrauch Verwendung findet, bis sich das verbal weiter ausdifferenzieren hätte können, wenn nicht ein neues Instrumentarium wie CD-Player diese Art Schallabtastung eh so gut wie abgeschafft hätte.

Im Bildbereich sind dergleichen Formanalogien, mit denen sich Bedeutungsbillard spielen ließe, (leider) vergleichsweise selten gegeben. Zuerst fällt einem erstmal nur der redundante Metacodebereich ein wie hallo, hier ist auch noch ein Phallus versteckt. Das gerade so genannte Bedeutungsbillard funktioniert im Textmodus dadurch, daß sich zwei differente Bedeutungen diesselbe Verbaleinheit teilen müssen, wo mit Glück in einem Satz beide passen. Meist schwingt die eine eher nur im Subtext mit. Das erspart nicht nur dem Satzbau einen Nebensatz, sondern hat auch noch einen verständnistechnischen Echoeffekt im erwähnten geistigen Auge. Mit dem Unterschied zum sonstigen Echo taucht hier beim Verdopplungseffekt noch eine andere oder ergänzende Leseweise auf. Mit Beipielbildern, die solcher Art Doppelsinn praktizieren, bin ich bisher noch nicht allzu weit gekommen: In einem bestimmten perspektivisch verzerrten Winkel wird in Pantoffeln reingeschaut kann man im Hackenbereich relativ plausibel Koteletts hineinschummeln- oder -morphen. Wenn diese eine konstruierte Absurdität noch mit einer anderen zusammen auftritt, in diesem Fall sind das dem Betrachter zugewandte Zehenspitzen, die hinten in den Pantoffeln auf die eigentlichen Pantoffelbenutzerzehen lauern, dann kulminiert die Verständnismöglichkeit /Auffassungsgabe in Verständnisverwirrung, und die irritierte Wahrnehmung glaubt zumindest erstmal einer der vorgeführten Abstrusitäten. Eine alte Regel der Malerei lautet, das ist Lüge. Und im brauchbaren Fall sind zwei oder mehr im Handgepäck mit dabei, wodurch wenigstens eine durch den Plausibilitätszoll kommt. Es geht weniger, um die ungemütliche Aufstehstimmung, die mittels dieses visuellen Stereoeffekts potenziert veranschaulicht werden könnte, sondern auch einfach methodologisch um eine Art besser gepacktes Bildprinzip. Um das in Bildlichkeiten weiter präziser hinzubekommen, muß man eventuell vorerst versuchen, ob sich vielleicht doch die Subjekt-Verb-Objekt-Struktur lohnt, stärker in den Bildbereich zu ‘transplantieren’. Oder solche Überlegungen sind Spätschäden des oft genannten Linguistic Turns. Aber wie ein Bild mit zu vielen Relativsätzen aussehen würde, könnte schon interessant sein.

Auswertung des Texzs von Duden Database
Starship 2: Subjeskie Point - Cover You Never Know
  1. Editorial #2 Starship, Martin Ebner, Ariane Müller, Gunter Reski, Hans-Christian Dany
  2. Auf der Stereotaxie Michaela Eichwald
  3. Annoncen Martine Anderfuhren, Rachel Mader
  4. Fotogramme Markus Amm
  5. Point of view Natascha Sadr Haghighian
  6. Minimal sorgt für mich Hans-Christian Dany
  7. Einige zerfahrenen Gedanken um die Berliner Institution Kunstwerke Ariane Müller
  8. Volltext mit Bildboom Gunter Reski
  9. Das Institut Ariane Müller
  10. Don Quixote Judith Hopf
  11. Digital Saniarts Florian Zeyfang
  12. Christine Lemke Christine Lemke
  13. 40.000 Mercedes Bunz, Stefan Heidenreich, Ariane Müller, Hans-Christian Dany, Gunter Reski
  14. Vis à vis Nicolas Siepen
  15. Reykjaviks city children Egill Saebjornsson
  16. Russian art and the economic crisis in Russia Joseph Backstein
  17. Kofferökonomie Gülsün Karamustafa, Ayse Öncü
  18. Poster Nathalie Richter
  19. Die Kuratorin als Toastmaster SMEK
  20. Immer wieder fragen Bücher Starship
  21. Tanzania Aids Marisa Maza, Hans-Jörg Dilger
  22. Photographie und Gedenken Diedrich Diederichsen
  23. Schieß deinen Schuß Ingo Niermann
  24. Fünf Seiten im Kopf eines Künstlers Ran Huber
  25. Mit Gitter zum Bild Burkhard Mönnich, Thomas Palme
  26. Ein Drehbuch für Silke Yilmaz Dwiezior
  27. Peter Fritz Infotage Gerhard Frommel
  28. Raumfahrt ’98 - zum Nutzen der Menschheit Frauke Gust
  29. Fotobearbeitung: Jan Timme Jan Timme
  30. SimSex Sven Barske
  31. Spekulantentheorie Jesko Fezer
  32. Kai Althoff Kai Althoff
  33. Stirbt der Mensch als Künstler - Teil 2 Dany Müller
  34. Foto Elke aus dem Moore Elke aus dem Moore
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