Schieß deinen Schuß

Ich laufe im Zimmer umher, mit dieser ganzen Energie, als würde Sie mich hier- und dorthin schubsen und käme nicht heraus. Ich frage: Do you want to spin me round? und höre mich an ihrer Stelle antworten: Yes, Sir, I can spin you round. .... deep deep inside? - No, I spin you around the world (ayayah).

Was ist los? - Ich beginne mit dem Pop und einer seltsamen Distanz, die alles neuerliche Interesse an ihm bedingt. Schaue aus, was an neuem Pop ungeachtet dessen durchdringend wirkt und behaupte meine fortwährende unbedingte Anteilnahme und Erregung für die distanzierten Lieder des Zang Tuum Tumb. Mein halbes Leben. Zeitenkreuz.

 

Distanz. Es besteht die Klage, die Alten erdreisteten sich anhaltender Jugendlichkeit und stöhlen so den Jungen die Jugend. Aber was sind die Insignien dieser Jugendlichkeit? Der Turnschuh ist einfach der bequemere, knieschonende Schuh und trägt sich zur beigen Hose wie das bunte Tuch zum Rentnersakko. Wer hat gesagt, der Turnschuh sei die Krawatte der 90er?

Kokain und Amphetamine sind die Kreislaufpillen und das Biovital der gähnenden Nacht. Kombiniert mit Alkohol und Zigaretten, um im Hocker hängenzubleiben und nicht einfach aufzustehen und zu gehen.

 

Seit wann ist man Mitte Zwanzig zu alt zum Tanzen? Überall hört man zum Tanzen laute Tanzmusik und jede Platte ist voller Tanzmixe, zu denen niemand tanzt. Vielleicht schwoft man zu Hause. In den 7Oern und 8Oern war es auch nur der Discofoxtrott, aber es konnte mehr werden. Techno wurde in Deutschland zunächst von einer alt gewordenen Jugend getragen, die Industrial erlebt und sich später irgendwo verirrt hatte, bis sie begriff, daß Industrial nicht nur bejaht, sondern bejubelt werden mußte. Dann funktionierte es invers zur Weltmusik. Die in sich gekehrte Stadt. Wir tanzen die betonierte Stadt des Nordens und können uns genauso bunt kostümieren. Aber Tanzen in Berlin zum Beispiel war immer eine Katastrophe, bis Jungle kam und verschwand.

Heute gibt man sich nicht die Blöße. Jugend wird zu einem anspruchsbeladenen Konzept, so wie man feststellt, daß man in dem Sinne nie jung gewesen ist und es wohl nie mehr sein wird. Obgleich man von der körperlichen Konstitution her immer noch könnte und sich diese zu erhalten bemüht.

 

Man weiß, welchen Preis man zu zahlen hätte. Wer ist so verrückt, willentlich verrückt zu sein. Alle wissen es zu schätzen, aber wer macht den ersten Schritt, wer ist der Blöde, es zu sein.

Wesentliches Stilmittel dieses Lauernden, Eventuellen ist die Ironie. Die Freude, es allen sagen zu können, auch denen, die es trifft, aber vor allem denen, die es gar nicht verstehen, ist seit jeher Ausdruck der Machtlosigkeit oder ein Mittel des Vermeidens: Verschiedenstes hervorzukehren und zugleich zu verschütten. Nervengift Ironie, also sucht man die Ironie in der Schwebe zu halten. In den frühen und mittleren 8Oern bestand die Provokation in dem teils ironischen Bejahen von Kommerzialität und ihrem Milieu. Möglichst jung erwachsen und liquide zu sein. Doch in der knapp bemessenen Freizeit, möchte der Arbeitende Status und verbliebene Frische unter Beweis stellen und die weiteren Früchte ernten, ist er der Langeweiler, die Dumpfbacke. In einer ohnehin wohlhabenden Gesellschaft reicht es nicht, sich eine Auswahl exotischer Früchte zu pflücken, man muß sich mit ihnen schmücken, als sei man selbst der Baum. Das ist die Teil-Ironie der mittleren und späten 90er. Zwischen den Skurrilitäten, die waren, und denen, die sind, deutet sich eine eigene Vergangenheit an, die kokett fortschreitet. Ist das neue nicht mein altes Schwarz, das neue nicht mein altes Hemd? Die für ihre eigene Vergangenheit zu alt gewordenen suchen sich mit noch weiter zurückliegenden Vergangenheiten - Wilder Westen, Belle Epoque, Bohemien - in Verbindung zu bringen, als seien sie deren vergleichsweise jung gebliebenen Veteranen.

Die Vergangenheit ist unserer Freizeit zur Verfügung geöffnet. Früher gab es Imitatoren, Coverversionen, Kostüme, sektiererische Fanclubs. Heute saugt der Mainstream die Vergangenheit mit einfachen, groben Filtern auf. Die Verwertung hat sich in ihrer Ironie immunisiert. Aber es werden auch nur die handlichen Partikel aufgesogen - der Pop. Pop vielleicht auch erst im nachhinein, doch fast ausschließlich bezieht sich der Pop auf sich. Ist nicht längst beinahe alles Pop? Es ist eher weniger geworden. Und wenn sich etwas darüber hinaus verbreitet haben sollte, wird es nicht rückgeführt. Aber es ist albern zu sagen, die Älteren nähmen der Jugend den Pop weg, würden das alles sogleich vereinnahmen und bagatellisieren.

 

Neuere Jugendkulturen binden sich an außerordentliche sportliche Leistungen. Wenngleich sie vielleicht nur von wenigen wie lebende Maskottchen erbracht werden, stehen die ihnen Nahestehenden in latentem Wettstreit. Breakdance, Skaten, Durchtanzen, Fantasieaction, Drogen mixen, Modeln wollen, fanatischer Fan sein.

Nie sind Jugendliche so gezielt bedient worden und haben sich selbst so gezielt bedient. Nur interessiert das als Phänomen, mit dem die Älteren sich identifizieren oder auseinandersetzen könnten, kaum mehr als neue Kinderspiel-, Hausfrauen-, Rentnermoden. Es reicht nicht aus, um weiterhin in unregelmäßigen Abständen sehen zu wollen: Da wächst eine Generation heran, für die alles schon vorbei ist, bevor ihre Jugend überhaupt begonnen hat. Die gar nicht daran denkt, erwachsen zu werden. Die nur an Geld denkt, die nur an Drogen denkt etc.

Penetranz. Musik heute klingt vielleicht nicht so, als könnte sie sattmachen, aber gesättigt, im Überschwang auch fett. Das ist die einzige reichlich allgemeine Entwicklung in der Produktion.

Sie kracht und krächzt nicht mehr, und kann eben deshalb so laut werden, bis sie einem den Hals zuschnürt oder das Gehör schädigt.

Nicht in den 8Oern ist die Musik glatt geworden, sie wird es jetzt, bald. Wann ist die Musik, der Film so schrill gewesen wie in den 80er Bombastproduktionen, die allein das Unmögliche zusammengeführt (Duette!), aber nur selten verträglich gemacht haben.

Heute muß nichts mehr an sich unangenehm klingen. Saxophone, Gitarren, was noch zu Beginn der 90er verbannenswert schien. Natürlich gibt es deshalb auch Big Beat, Digital Hardcore und so, und ist das alles im traditionalistisch prolligen England nicht nur beliebt, sondern auch als Hype möglich. Dieser fortlaufende Witz wirkt mit etwas und nicht zu viel Distanz gerade so wie Peter Andre’s und Warren Gs Oogie Woogie oder Luc Bessons Space Cobs. Funky Diamonds und MC Hammer. LL Cool Js Rackern bei den MTV Awards. Tequila ´98.

 

Dabei gibt es ihn, heute, heute erst, den fließenden, den erhebenden Trash ohne Kopfschmerz. Im Video von Mack 10, mit Snoop Doggy Dog und Ice Cube, hat sich die Klonarmee aus Grace Jones One Man Show in ein ordinäres Female SA Lookalike verwandelt. Da ist die Punk-, dann Kippenberger usw. Kunstprovokation endlich in den Pop gelangt und bedeutet wirklich jetzt erst gar nichts mehr als: Huch, da haben die Models Faschismus-artige Uniformen an.

Ähnlich wirkt das Video zu N-Trances You Sexy Baby, in dem sie nach Japan reisen, um dort nicht den üblichen Japan Popkitsch zu suchen, sondern Straßen voller mäßig langbeiniger, langhaariger, blondierter Mädchen. Oder Matthew Barneys Reisen in die Systematiken Freuds, allein als seien sie ein besonders Comic-tauglicher Gedankenmüll.

Der Sexismus scheint endlich nicht mehr nur hohl, sondern ganz und gar leer. Traurig dagegen die nicht endenden Hommagen an House, Electro und Disco, die das alles so oft schon weit hinter sich gelassen hatten, und die man nun mit ein bißchen Hihi und dünnem historizistischen Faden nicht einzuholen, sondern zu ersticken sucht.

 

Die schnellen Abläufe der letzten zehn Jahre sind angetrieben von der Aneignung längst vorhandener Möglichkeiten. Filter, Pitch, Hall, Timestretch, die Rolandreihe - immer wieder haben einfache Kniffe in der Anwendung alles noch einmal erneuert.

Viele Videos heute sehen aus, als warteten sie längst oder als mühten sie sich anstelle der Musik, eine neue Struktur und Klänge, so penetrant wie slick, zu suggerieren. Wie jämmerlich dagegen ist die Suche nach neuen Ressourcen in den Geräuschen der Umgebung ausgefallen. Wie absehbar die Enttäuschung über Drum & Bass, der eine Komplexität vorlegt, die, gefangen in der Starrheit von Takt und Tempo und dem Bearbeiten reichlich bekannter Töne, nach einer exponentiellen Entfaltung verlangt, die weder tanz- noch genießbar ist.

Perfektion. 1982, das Jahr von Elektro, dem raffinierten Funkderivat, das Jahr raffinierter Discoderivate, das Jahr, in dem sich New Wave von Punk so weit wie möglich entfernt. Stolz weist Pop auf seine Haltlosigkeit.

Heute können die Moden vielleicht schneller wechseln. Doch ebenso schnell werden Traditionen behauptet. Mit jedem Retro werden Felsen gesichtet, die wieder Bestand zu haben scheinen.

 

1982 ist Trevor Horn Englands Produzent des Jahres und England bedeutet wenigstens Europa. Er hat die 70er hindurch reichlich erfolglos als Produzent und Musiker gearbeitet. Es ist die Zeit des Bombastrocks, der Rocksymphonien, später hat er sogar für Yes gesungen. Doch er sieht sich an den Rand gedrängt, dann von Punk niedergedrückt. Er gründet ein eigenes Duo, Bubbles, und hat 1979 einen Hit: Video Killed the Radio Star. Es ist kein New Wave, eher ein reformatorischer Rock’n Roll, ein wenig Boogie Woogie und gar nicht viel anders als Suzi Quatro.

Die zweite LP, die weiteren Stücke floppen. Ihre drögen Texte persiflieren die technoide Warenwelt. Eine Affirmation, die sich nicht traut.

Unmittelbar darauf produziert er jedoch Dollar und ABC, bereitet Spandau Ballet nach und bedient sich dabei aller Studiotechniken, die in den späten 9Oern Relevanz haben. Er sampelt Dollars Stimmen und läßt sie auf dem Keyboard spielen. Er will das zugleich kostspieligste, erfolgreichste und beste Produkt liefern. Sein Verlag heißt “Perfect Songs”.

1983 gründet er Zang Tuum Tumb, ZTT, zusammen mit Paul Morley. Sie erwecken das Texter-Musiker-Duo, das mit dem Autorenrock und dem sich vom Song befreienden Funk und Disco erstarb, neu als Produzententeam. Die Künstler schreiben ihre Musik und Texte selbst, doch das urheberrechtlich erfaßte Material wirkt ohnmächtig gegenüber Horns Maschinerie, die die Künstler für die Zukunft ersterben läßt. Ihre erste Platte bei ZTT ist ihr letztendlicher Erfolg. Auf den Covern aber spinnt Morley mit Zitaten aus der Literaturgeschichte und den Kulturwissenschaften einen fortwährenden Summs der Dekadenz: ,Boredom’ amongst the young is a relatively new concept, of course... ,H’ stands for ihe two current choices - Heroin and Hooliganism. Vicarious pleasures of violence and torper - previously confined to the Aristocrucy - have been reclaimed. ZTT sollte das verklären: Geht die Welt unter - was auch immer das heißt -, haben wir unsere Plätze längst verlassen für einen entspannten, bedenkenlosen Sex und meinen mit aller uns möglichen Egozentrik, wir seien es gewesen, die sie zum Untergang brächten und unser Leben verzehrten. Wir denken noch einmal die große Liebe als eine Gotteskraft, habe seltsame Begegnungen und wandeln in süßen Erinnerungen.

Der eklatante Erfolg von Frankie Goes To Hollywood und die außerordentliche Qualität der sehr unterschiedlichen Produkte kann wohl die Aufmerksamkeit auf ZTT lenken, doch die Begeisterung erwärmt sich nicht. Diese Musik, dieses Gebaren ist wirklich unterkühlt, kein Düsseldorfer Phlegmatismus, und kann deshalb aufwühlende Emotionen mit langem Atem durcheilen und in ihren feinen Details erlebbar machen. Das ist Spätromantik, und ihr Futter 1984 war Burt Bacharach und Bruce Springsteen.

Auch in Julie Burchills wieder erscheinender ,,Modern Review” ist bei aller präzisen Aversion gegen die mittlere Mittelklasse-Jugend die jüngere Jugend nur eine kitschige Franse am unteren Rand der Gesellschaft. Als sei die Teenagerzeit ein allgemeines, doch vereinzeltes Geängstigtsein - emotional nur an die PlayStation gebunden -, das lauter Einzelkämpfer des Überlebens erzeugt. Weise aus Not, die erst am College vom Wohlstand zersetzt und nachträglich nicht mehr erwachsen werden.

 

Eine Single ist weiterhin nur unwesentlich billiger als eine Kinokarte. Sie dauert vielleicht vier Minuten. Wirst du sie dreißigmal in ähnlicher Erregung wie beim ersten Mal hören können?

In der Popmusik ist die Sublimation gering und bleibt gebunden an die üblichen Rollen, den üblichen Sex. Frankie hat ein schwules Auftreten dem heterosexuellen Mainstream nicht verträglich gemacht, wie Disco, sondern hat es den Schwulen selbst entzogen und in das heterosexuelle Ghetto transferiert. Dort funktioniert Frankie wie alle anderen Idole auch. Jungen und Mädchen bewundern ihren Umgang mit Sexualität, Wahrheit und Moral -FRANKIE SAYS - und wissen, daß es für sie nicht geht. Das ist nicht der Skandal, Schock - wer kauft deshalb eine Platte -, sondern: Ich wäre gerne wie Jodie Foster, bin aber nicht lesbisch; ich wäre gerne Madonna, aber bin ein stockgerader Mann. Holly Johnson mit den groß gezogenen Gesten, Paul Rutherford als sein großer Knappe und schließlich die Lads, die sie als harmlose, süße Gang komplettieren. Ihr Verhältnis zueinander ist ungeklärt. Es gibt nur den Weg hinauf oder hinab.

Als sie oben anzustoßen scheinen, tritt Trevor Horn zurück. Als Holly Johnson abspringt, was ZTT gerichtlich zu verhindern sucht, indem es seine eigenständige künstlerische Existenz abstreitet, hat er keine Wahl. Ihm bleibt nur das Selbstbildnis eines entsexualisierten, von AIDS ausgezehrten Dandys, der mit seinem Freund Wolfgang wie einem adoptierten Onkel sparsam und kräftesparend lebt.

 

Heute steht Jarvis Cocker zur Verfügung, etwa derselbe Jahrgang wie Holly Johnson. Jarvis brauchte nicht eine Platte, sondern 10 oder 12. Jarvis ist heterosexuell und weiß, was ihn an Frankies Umgang mit Sexualität, Wahrheit und Moral hindert. Er singt von den Entbehrungen, Enttäuschungen, Hindernissen. Der Andersartigkeit der Frauen, seinen Zweifeln. Das klingt viel sympathischer, ja? Und es hat mehr Bestand? Können wir uns jetzt wenigstens auf eine Exaltation einigen, die die Welt nicht zur Rede stellt, nicht zum Schweigen zwingt, die wir liebgewinnen können, aber, sagen wir, in dem Moment von uns trennt?

Starship 2: Subjeskie Point - Cover You Never Know
  1. Editorial #2 Starship, Martin Ebner, Ariane Müller, Gunter Reski, Hans-Christian Dany
  2. Auf der Stereotaxie Michaela Eichwald
  3. Annoncen Martine Anderfuhren, Rachel Mader
  4. Fotogramme Markus Amm
  5. Point of view Natascha Sadr Haghighian
  6. Minimal sorgt für mich Hans-Christian Dany
  7. Einige zerfahrenen Gedanken um die Berliner Institution Kunstwerke Ariane Müller
  8. Volltext mit Bildboom Gunter Reski
  9. Das Institut Ariane Müller
  10. Don Quixote Judith Hopf
  11. Digital Saniarts Florian Zeyfang
  12. Christine Lemke Christine Lemke
  13. 40.000 Mercedes Bunz, Stefan Heidenreich, Ariane Müller, Hans-Christian Dany, Gunter Reski
  14. Vis à vis Nicolas Siepen
  15. Reykjaviks city children Egill Saebjornsson
  16. Russian art and the economic crisis in Russia Joseph Backstein
  17. Kofferökonomie Gülsün Karamustafa, Ayse Öncü
  18. Poster Nathalie Richter
  19. Die Kuratorin als Toastmaster SMEK
  20. Immer wieder fragen Bücher Starship
  21. Tanzania Aids Marisa Maza, Hans-Jörg Dilger
  22. Photographie und Gedenken Diedrich Diederichsen
  23. Schieß deinen Schuß Ingo Niermann
  24. Fünf Seiten im Kopf eines Künstlers Ran Huber
  25. Mit Gitter zum Bild Burkhard Mönnich, Thomas Palme
  26. Ein Drehbuch für Silke Yilmaz Dwiezior
  27. Peter Fritz Infotage Gerhard Frommel
  28. Raumfahrt ’98 - zum Nutzen der Menschheit Frauke Gust
  29. Fotobearbeitung: Jan Timme Jan Timme
  30. SimSex Sven Barske
  31. Spekulantentheorie Jesko Fezer
  32. Kai Althoff Kai Althoff
  33. Stirbt der Mensch als Künstler - Teil 2 Dany Müller
  34. Foto Elke aus dem Moore Elke aus dem Moore
pageview counter pixel