Point of view

in der filmsprache heißt es pov und steht für die subjektive kamera. das bedeutet, die kamera tut so, als wäre sie eine der personen im film und sieht die geschehnisse aus deren sicht. pov wird gerne in splatterfilmen eingesetzt, wenn das böse naht.

das böse betrachtet seine opfer, bevor es zuschlägt. das wirkt bedrohlicher und das böse muß selbst nicht gezeigt werden (das ist ja meistens eher enttäuschend). seit es steadycams gibt wird pov gerne und viel eingesetzt. ohne schienen lässt sich fast jede bewegung eines akteurs nachvollziehn. es gab in letzter zeit einige videos auf mtv, die sich fast ausschliesslich pov bedienten. die rolling stones, madonna und nicht zuletzt prodigy mit smack my bitch. lustigerweise wird in allen drei fällen die subjektive als blick einer frau aufgelöst und alle sehen ein verzerrtes bild ihrer umgebung, das sie isoliert in ihrem blick.

bei den rolling stones sind pillen im spiel, bei madonna wird durch pov eher die klaustrophobische warnehmung einer oberflächlichen party-pop-welt gezeigt, in der madonna nur substitute für ihre suche nach liebe findet. bei prodigy schließlich wird auf vermeintlich subversive weise mit der identifizierung des betrachters mit pov gespielt. eine offensichtlich alkoholisierte subjektive, die automatisch für einen mann gehalten wird, zieht in völlig verstrahltem zustand durch die nacht und läßt nichts anbrennen. sie verhält sich dabei gewalttätig und brutal. die mißhandlung von frauen darf dabei nicht fehlen.

Am ende sieht der vermeintliche mann in den spiegel und ist -überraschung, überraschung!- eine frau. ui! da sind wir aber ganz schön reingelegt worden und müssen schleunigst mal unsere stereotypen vorstellungen überdenken. für die frage der legitimation von gewalt überhaupt bedürfte es jedoch eines anderen viewpoint, der im clip aber nicht auftaucht und scheinbar auch nicht zur debatte steht, denn das zeigen von gewalt wird durch die subjektive legitimiert und deren auflösung passiert nur im spiegelbild, also nie.

Irgendwie kommt man nicht umhin, sich über die Harmlosigkeit dieses Begriffes zu ärgern. Aufgebauscht u.a. durch den Sicherheitswahn diverser Behörden, die noch keinen Umgang mit Hacking gefunden haben, wird extremistisches Vokabular im Netz auch gerne zur ungefährlichen Imagebildung von "NetzkünstlerInnen" herangezogen.

in computerspielen ist pov nicht mehr wegzudenken. 2d spiele wie pingpong oder pacman bewegen sich an der bildschirmoberfläche. der spieler identifiziert sich mit einem der sich bewegenden punkte auf dem schirm. „das bist du" wurde einem neuen mitspieler mit dem finger drauf deutend mitgeteilt. bei 3d spielen besteht darüber kein zweifel mehr, die subjektive blickführung vermittelt die direkte übertragung des blicks auf die position im spiel. in der städteplanung ist diese blickführung so erfolgreich eingesetzt worden, daß sich die gebaute wirklichkeit hinterher wie in den animationen anfühlt. zuletzt war dieses phänomen am potsdamer platz zu erfahren. „es sieht genauso aus wie in den videos, die in der infobox laufen", war das resumee vieler, die den platz in den eröffnungstagen besuchten.

im alten museum in berlin war vor zwei jahren eine ausstellung mit modellen aus der renaissance zu sehen. die architekten hatten sie anfertigen lassen, um den auftraggebern einen eindruck vom späteren bauwerk zu vermitteln. es waren maßstabsgetreue modelle aus holz, in die der bauherr teilweise sogar seinen kopf stecken konnte, um darin herumzugucken. dieser eindruck war ausschlaggebend, ob das gebäude entstehen würde oder nicht. deshalb wurden die modelle sehr aufwendig und detailgenau gefertigt.

modelle sind immer dann gut, wenn sie helfen, das später tatsächlich passierende möglichst gut zu imaginieren. In den videos in der infobox ist dies sogar bis in die details animierter passanten und ihrer verhaltensweisen gelungen. als ich dann über den platz laufe um mir eine vorstellung von „the blue planet" im imax kino anzusehn, bin ich einer der animierten passanten geworden und fühle mich auch so. es ist genau wie im video und ich tue genau die dinge, die animierte passanten tun. ich sehe mich um und alle anderen tun es auch. ich „fahre" mit meiner maus durch die passage und kaufe ein eis. es ist pov-total. ich fahre bis an die ränder der objekte. von hinten sind sie noch nicht mit textures belegt, sodaß die construction cubes zu sehn sind aus denen sie gebaut sind. ich zoome ganz nah heran und sehe, daß sie teilweise schlecht gerenderd sind. zwischen den textures sind teilweise lücken, die nur im vorbeifahren als artefakte zu sehen sind. kleinigkeiten. ich sehe auf die uhr: schnell zum imax, die vorstellung beginnt.

mit mir warten vierhundert leute auf die ausverkaufte show. das imaxformat ist ein spezielles kinoformat, in dem das hochauflösende bild das gesamte blickfeld überspannt.das heißt der/die betrachterIn ist „im bild". die leinwand wölbt sich kuppelförmig um ihn/sie. alles was ich sehe, nehme ich als subjektive wahr, denn ich kann meinen gesichtspunkt nicht verlassen. sie, die schlauen leute vom imax team, haben ihn für mich ausgesucht, und ich will mich nicht beschweren, denn sie bescheren mir exquisite blicke auf unsre kleine erde. (ganz nebenbei: die erde ist in gefahr und wir sind ihre größten feinde, sagen die imax leute) dieser blick wurde mir ermöglicht durch astronauten, die eine imaxkamera mitnahmen. ich bin im weltraum und sehe die erde. ich bin ein alien geworden. ein extraterrestrial being. ob ich hier bleiben soll? aber das geht nicht, denn die imax leute haben entschieden, daß ich zurück muß auf den potsdamer platz.

ich entscheide ganz schnell und reiße den druckluftschlauch aus der wand. überall geht der alarm an und die crew ist in panik. ich verlange die aushändigung aller waffen und die kontrolle über das schiff. die besatzung hat nicht lange zeit zum beraten, denn das raumschiff droht zu implodieren. der captain händigt mir die imax kamera aus und ergibt sich. jetzt fahre ich durch fremde galaxien. es ist toll, sieht aus wie in star wars oder einem weltraumspiel auf dem rechner. mega-pov. ich schick mal ne ansichtskarte.

Starship 2: Subjeskie Point - Cover You Never Know
  1. Editorial #2 Starship, Martin Ebner, Ariane Müller, Gunter Reski, Hans-Christian Dany
  2. Auf der Stereotaxie Michaela Eichwald
  3. Annoncen Martine Anderfuhren, Rachel Mader
  4. Fotogramme Markus Amm
  5. Point of view Natascha Sadr Haghighian
  6. Minimal sorgt für mich Hans-Christian Dany
  7. Einige zerfahrenen Gedanken um die Berliner Institution Kunstwerke Ariane Müller
  8. Volltext mit Bildboom Gunter Reski
  9. Das Institut Ariane Müller
  10. Don Quixote Judith Hopf
  11. Digital Saniarts Florian Zeyfang
  12. Christine Lemke Christine Lemke
  13. 40.000 Mercedes Bunz, Stefan Heidenreich, Ariane Müller, Hans-Christian Dany, Gunter Reski
  14. Vis à vis Nicolas Siepen
  15. Reykjaviks city children Egill Saebjornsson
  16. Russian art and the economic crisis in Russia Joseph Backstein
  17. Kofferökonomie Gülsün Karamustafa, Ayse Öncü
  18. Poster Nathalie Richter
  19. Die Kuratorin als Toastmaster SMEK
  20. Immer wieder fragen Bücher Starship
  21. Tanzania Aids Marisa Maza, Hans-Jörg Dilger
  22. Photographie und Gedenken Diedrich Diederichsen
  23. Schieß deinen Schuß Ingo Niermann
  24. Fünf Seiten im Kopf eines Künstlers Ran Huber
  25. Mit Gitter zum Bild Burkhard Mönnich, Thomas Palme
  26. Ein Drehbuch für Silke Yilmaz Dwiezior
  27. Peter Fritz Infotage Gerhard Frommel
  28. Raumfahrt ’98 - zum Nutzen der Menschheit Frauke Gust
  29. Fotobearbeitung: Jan Timme Jan Timme
  30. SimSex Sven Barske
  31. Spekulantentheorie Jesko Fezer
  32. Kai Althoff Kai Althoff
  33. Stirbt der Mensch als Künstler - Teil 2 Dany Müller
  34. Foto Elke aus dem Moore Elke aus dem Moore
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