Ein Drehbuch für Silke

Wo bleibt der Mehrwert

Yilmaz: Die Aufgabenstellung besteht darin, ein Drehbuch zur Ausstellung von Silke bei Jochen und Thomas zu schreiben. Es ist ihre erste Ausstellung in der noch jungen Galerie. Die Galerie gibt es seit Oktober ‘97 und wird von Jochen und Thomas, beide Anfang dreißig in einer mittelgroßen Stadt in Baden-Württemberg betrieben. Die angeforderten Drehbücher sollen in den Medien erscheinen, die die eingeladenen AutorenInnen dafür gewinnen können (z.B. in Kunstzeitschriften, Fanzines, Stadt- und Tageszeitungen, aber auch Form der Presseerklärung der Galerie und in verschiedenen Foren des Internets). Die AutorenInnen kümmern sich um die Veröffentlichung. Erst und allein durch die Beiträge der AutorenInnen konstituiert sich die Ausstellung. Oder wie Silke es ausdrückt: “Die Ausstellung existiert für die RezipientInnen nur in Form der veröffentlichten Texte. Während der Ausstellungsdauer liegen die veröffentlichten Texte in der Galerie zur Ansicht aus.”

 

Anette: Das erinnert mich an Yves Klein. Der hat eine Ausstellung nur in Form eines Kataloges gemacht, deren monochromen Seiten als Platzhalter seiner Gemälde fungierten.

 

Yilmaz: Ähnlich wie das letzte Jahr erschienene Buch Cream, das eine Ausstellung lediglich in Form eines Kataloges realisiert.

 

Katrin: “Keine schlechte, aber auch keine neue Idee, schließlich gibt es Kunstpublikationen wie die dreimal jährlich erscheinende Schweizer Zeitschrift Parkett. Cream kommt in extremen Querformat und in leuchtendem Pink wesentlich poppiger daher. Formal ist Cream ohne Frage overdressed. Gerade bei Videoarbeiten oder Installationen mit atmosphärischer Dichte zeigen sich die Grenzen dieser >>Publikation als Ausstellung<<, ein Problem allerdings, vor dem alle Kunstzeitschriften und Kataloge stehen.”

Kasper: “Wenn ein Künstler behauptet, ich mache keine Ausstellung, meine Ausstellung ist die Publikation, dann war das damals (in den 60er und 70er Jahren) ein überzeugender ökonomischer Vorschlag. Aber nach zwei, drei Jahren ist der Groschen auch gefallen. Du kannst auf dieser Sache nicht so lange herumreiten. Entweder die Bücher taugen was, haben eine Qualität, oder sie sind lediglich strategisch, was sich sehr schnell erübrigt.”

 

Yilmaz: Silke will im Anschluß an die Ausstellung eine Textsammlung mit allen geschriebenen “Drehbüchern” herausgegeben. Dies bedeutet nicht nur eine Aneignung der AutorenInnenbeiträge und deren Integration in das eigene Werk. Auf längere Sicht konstituieren nicht die in unterschiedlichen Medien publizierten Drehbücher, sondern das von Silke herausgegebene (Künstler)Buch die Ausstellung. Das Ephemere der Beiträge (sie werden vor allem nur im Zeitraum des Erscheinens des verwendeten Mediums rezipiert) und die angestrebte differierende Verbreitung wird so zugunsten eines (herkömmlichen) Mediums relativiert.

Aber zurück zum Ausgang; Silkes Bitte war ein Drehbuch, das “die Problematik - erste Galerieausstellung - thematisiert.” Da muß ich natürlich sofort an Cosimas und Josefs Ausstellung von 1990 denken.

 

Jutta: “The theme of this first exhibition is the first exhibition...Perhaps a sort of popular conceptual art, or is it more on the order of some kind of sophisticated trash? The familiar, hoped-for, and clean-cut entry into the art world, and the small scale rhythm of initiatory ceremony. No sudden splash on the art scene. What’s the purpose of mentioning first shows in biographies?”

 

Isabelle: “Auf Luftballons waren Namen, Geburtsdaten und erste Ausstellungstermine derjenigen Künstler und Künstlerinnen geschrieben, die an der legendären Ausstellung >>when attitudes become form<< teilgenommen hatten und heute noch erfolgreich sind. Die Ballons weckten die Erinnerung an eine Tradition - Yves Kleins publikumswirksame Manifestationen.”

 

Yilmaz: Silkes Ausstellung stelle ich mir dagegen visuell viel spröder vor. Es sollen ja lediglich die bis dato publizierten Texte ausliegen. Es wird wohl mehr oder minder eine leere Galerie zu sehen geben. Da stelle ich mir Cosimas kurze Performance wesentlich unterhaltsamer vor, da sie äußerst humorvoll aber trotzdem präzise das Thema der ersten Ausstellung behandelt.

 

Jutta: “The high point of the exhibition was the other vitrine, which is a kind of store window serving as a link between inside and outside, and it was here that we discovered Cosima ... >>When attitude becomes form<< taken quite literally. She sat there for forty-five minutes. That hadn’t be annouced as a performance on the written invitations, but the guest were informed by word-of-mouth. So anyone who didn’t come had to miss the best part.”

 

Yilmaz: Was mich an Silkes Ausstellung stört, ist weniger die fehlende Innovation. Die in der Moderne geprägte Vorstellung der stetigen Neuerung innerhalb der Kunst halte ich sowieso für obsolet. Die Wiederholung einer bereits bekannten künstlerischen Strategie finde ich im Gegenteil gerade im Zusammenhang mit Silkes Drehbuch-Projekt besonders interessant, da man sie als Verweis auf oder als Bestätigung der Meinung Lyotards deuten könnte, der in seinem Text “L’acinéma” die Bewegungen des Kinos als die Wiederkehr/Revenue, d.h. der Wiederholung des Gleichen und seiner Fortpflanzung sah. Ich halte es allerdings für bedenklich, wie in der Ausstellung “Drehbücher” entweder naiv oder aber berechnend mit der Multiplikatorenfunktion von AutorInnen umgegangen wird. Die Medialisierung einer (nicht stattgefundenen) Ausstellung wird im Erläuterungstext von Silke in erster Linie als Erweiterung des engen Kreises der RezipientInnen des peripheren Standortes der Galerie (mittelgroße Stadt in Baden-Württemberg) gedeutet. Es klingt jedoch einfach zu selbstlos, wenn Silke mit ihrer Ausstellung die “>>Kunstpräsenz<< des Standorts” zu fördern beabsichtigt, da sie diese aufgrund mangelnder Zusammenarbeit von ortsansässigen Kunstinstitutionen mit der lokalen Szene und einem fehlenden Sammlerpotential vermißt. Der Höhepunkt ihrer Selbstlosigkeit stellt ihre (rhetorische) Frage dar: “Ist es möglich die Situation der Galerie finanziell zu fördern oder sie trotz ihres peripheren Standortes mehr in das öffentliche Interesse zu rücken?” Vor allem eine Überlegung vermißt man in dem ansonsten detailliert ausgearbeiteten Konzeptpapier der Künstlerin: Wieso erwähnt sie nicht den eigenen (ideellen) Gewinn, den Mehrwert, den sie durch die veröffentlichten Artikel, durch die Erweiterung des öffentlichen Interesses erzielt ?

 

Anmerkung:

Alle in Anführungszeichen gesetzte Passagen sind Zitate aus

 

a) Arbeitspapier der Künstlerin;

b) neue bildende kunst, 6/1998, S. 6;

c) Reader Städelschule Frankfurt, 1998/99, S. 66,

d) Flash Art, Nr. 153, 1990, S. 156;

e) Artis, Okt./Nov.1995, S. 53.

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