Editorial #2

It's so sa a ad that you are leaving
takes ti i ime to believe it
But after all you have said and done
you are going to be the lonely one
CHER believe

Sich die Zukunft vorzustellen scheint nicht gerade eine anregende Beschäftigung zu sein, auch der Industrie fällt immer weniger dazu ein. Neue Autos, neue Filme sehen bezeichnenderweise aus wie in den fünfziger Jahren. Oft auch die Kunst, und sie wird dann von Menschen vertreten, die sich benehmen, wie man es von ihnen erwartet. Wer diese Art kultureller Produkte kauft, hat möglicherweise den Wunsch, an etwas erinnert zu werden, von dem man annimmt, es könnte demnächst verschwunden sein. Grüne Wiesen, gute Luft, die eigene Jugend, kurz, das 20. Jahrhundert. Auf dem Tisch von dem gegessen wird, liegen in diesen Tagen mehr Biographien als sonst. Sie sind dick. Zwischen den Gängen schlendert man ein wenig in den Leben anderer, überlegt welches Foto man gern von sich hätte. Bourroghs? Dessen Mund den Satz, ich will einen Toten, bildet.  Die Selbstverständnisse sind in Bewegung geraten, so daß in diesem Heft wieder öfter ICH in die Maschinen getippt wird. Die ICHs in Starship scheinen sich eher langsam zu bewegen. An langen Abenden gehen sie ein wenig im Kreis, üben an Automaten und sehen sich die Dinge länger als gewöhnlich an. Sie drehen sich noch einmal um die eigene Achse, und blicken nach hinten, um sich nicht zu wiederholen. Zwar verspüren wir eine Unruhe. Doch scheint uns die Langsamkeit effektiver, als übereilte Schritte in eine Zukunft, deren Richtigkeit ständig beschworen werden muß, da noch keiner an diesen Pfad glaubt. Liegt es an einem Satz, den wir alle nicht verstehen -It's not about the pussy, its about the monkey. Von Hilfsmitteln der Erinnerung handeln einige Beiträge dieser Ausgabe. Die Momentaufnahme der Zeit als still führt in diesem Heft in zweimal zu Roland Barthes zurück. Barthes bezieht sich auf die Photographie. Die Momentaufnahme, für die er den Begriff des punctums einführt oder der „still“ ist aber genauso Teil jedes Textes. Dabei ist auch im Text der Moment weniger Teil des Inhalts, als das er in seinem Verhältnis zum jeweiligen Inhalt zu finden ist. In der Gestik des Textes - Wortwahl, Wiederholungen, Satzbildung. Eben Stil. Still liegt irgendwo zwischen Inhalt und Stil und bezeichnet Berlin, 1999. Einen bestimmten Radius, der sich aus den Beiträgen ablesen läßt. Eine Reihe von Beteiligten, die nicht zufällig entstanden, aber auch nicht programmatisch zu lesen ist.  Das Heft (Starship) trifft eher an diesem Punkt auf diese Personen. Der Moment bezeichnet ein Verhältnis zu Bewegungsmöglichkeiten in der Gesellschaft. Ohne zu wissen, wie hart es werden kann, läßt sich konstatieren, daß schon eine Menge fehlt. Es wird vielleicht trotzdem notwendig sein, noch eine Menge privater Gegenstände und Fähigkeiten zu kleiner Münze zu machen. Es scheint momentan schwer zu sein, sich die Zukunft vorzustellen, selbst der Kulturindustrie fällt immer weniger ein. Neue Autos sehen aus, wie eine Zukunftsvorstellung aus den fünfziger Jahren. M wirbt seit jüngsten mit einem Thea-Harbour-Zitat, einer Scifi-Autorin der Zwanziger und die Millenium-Ausgabe der französischen Vogue würde Jules Verne sicher gut gefallen. Zu den Moden im Zusammenhang mit der Veränderung der vierten Zahl vorm Komma gehört das Sammeln von Kunst, die immer öfter wieder wie Kunst aussieht, und von Menschen gemacht wird, die sich benehmen, wie es von ihnen erwartet wird. Diese Produktion scheint sich, wie nicht weniges in diesen Tagen der noch einmal Erinnerung hinzugeben, in dem esie, vor dem, was sie wohl als ihren Abschluß annimmt, noch einmal ihre Vergangenheit nachspielt. Wer diese Dinge kauft, kauft möglicherweise den Versuch sich zu erinnern an etwas, von dem man annimmt, das es demnächst verschwunden ist. Henri Lee rät in der Vogue ab vom Kauf dieser Dinge, und prophezeit ihren Wertverfall mit der Wandlung von drei neunen zu drei nullen. Wenn überhaupt handle es sich um eine Langzeitanlage. Momentan gesammelte Kunst jüngster Produktion würde erst im Jahre 2060 wieder zu Wert kommen, und auch dann eher als kulturelle Kuriosa, mit denen die Menschen damals, den Ausklang des Jahrtausend begegneten. Einiges in diesem Heft beschäftigt sich mit dem rückwärtsgewandte Blick. Die Selbstverständnisse vieler sind in Bewegung geraten, und auch das vorliegende Heft bestätigt, daß zunehmend das Wort Ich in die Maschinen getippt wird. Wie Bilder geben Texte über Selbstkonzeptionen Auskunft, nicht nur durch den offenkundigen Gegenstand, auch in ihrem (gestischen) Verhältnis zum angenommenen Gegenüber, durch Wortwahl, Wiederholungen, Satzbildung. Rhetorische Vorstellungen wie das Bemühen um Neutralität und Sachlichkeit geraten zum Beispiel gerade beim Schreiben über Fragen der Kunst häufig zur autoritären Repräsentation. Dieser Sound, der andernorts gerne gehört wird, führt bei manchen schon nach kurzer Zeit zu verständlicher Langeweile. Die Bemühungen, fransig gewordene Ränder des Kunstbereichs wieder deutlicher zu konturieren, laufen Gefahr, in einer Art vorauseilendem Gehorsam passende Rollen und Modelle hervorzurufen, deren sanftes Verbleichen man vor wenigen Jahren noch kaum bedauert hätte. Politische Fragen sind eben in einem ausschließlich auf Selbstreferentialität aufgebautem System kaum zu stellen. Ohne zu wissen, wie hart es für die vielen neuen Ichs werden kann, läßt sich konstatieren, daß darüber hinaus immer noch einiges fehlt. Es wird vielleicht notwendig sein, eine bestimmte Menge privater Gegenstände und Fähigkeiten mehr zu kleiner Münze zu machen. Starship versucht eine gewisse Selbstverständlichkeit in der Produktion eines Heftes, das sich v.a. mit Kunst beschäftigt. Diese Selbstverständlichkeit meint auch, daß eine Heterogenität, die dem Heft anzusehen ist, nicht beabsichtigt ist, sondern Ausdruck dessen, daß hier eben kein Produkt durchgehend designed wurde und auch bereits sein Publikum mitproduziert. Selbstverständlich heißt, daß bei Starship nicht jeder Gedanke als biographische Markierung gelesen werden soll, nicht jeder Satz oder jedes Bild als Hegemonie heischende kulturelle Äußerung. Diese Art von Öffentlichkeit, die sich über Hefte wie dieses, öffentliche Räume und Diskussionen darüber und das immer wieder Veröffentlichen von Gedachtem und Produziertem herstellt, stellt sicherlich für viele Leute, die an diesem Heft mitgearbeitet haben und auch für einige LeserInnen eine Wiederholung dar. Daß diese Wiederholung aber genauso auch eine Art Weiterführung dessen ist, was man einfach immer schon getan hat und der Ausdruck einer (persönlichen) Bewegung ist, deren Ursprung oder Prinzip Kant schon als ein Wunder vorgekommen ist, erschrickt einen oft selbst. Vor allem dann, wenn gerade wieder alles als Strategie und jede Fähigkeit, als beliebig hervorrufbar und einsetzbar beschrieben wird. Für alle, die an diesem Heft mitgearbeitet haben, ist es nur ein weiterer Schauplatz ihrer Tätigkeiten. Das Potential des Heftes liegt daher vielleicht in der Selbstverständlichkeit, in der diese Tätigkeiten öffentlich werden können und sollen.

 

Starship 2: Subjeskie Point - Cover You Never Know
  1. Editorial #2 Starship, Martin Ebner, Ariane Müller, Gunter Reski, Hans-Christian Dany
  2. Auf der Stereotaxie Michaela Eichwald
  3. Annoncen Martine Anderfuhren, Rachel Mader
  4. Fotogramme Markus Amm
  5. Point of view Natascha Sadr Haghighian
  6. Minimal sorgt für mich Hans-Christian Dany
  7. Einige zerfahrenen Gedanken um die Berliner Institution Kunstwerke Ariane Müller
  8. Volltext mit Bildboom Gunter Reski
  9. Das Institut Ariane Müller
  10. Don Quixote Judith Hopf
  11. Digital Saniarts Florian Zeyfang
  12. Christine Lemke Christine Lemke
  13. 40.000 Mercedes Bunz, Stefan Heidenreich, Ariane Müller, Hans-Christian Dany, Gunter Reski
  14. Vis à vis Nicolas Siepen
  15. Reykjaviks city children Egill Saebjornsson
  16. Russian art and the economic crisis in Russia Joseph Backstein
  17. Kofferökonomie Gülsün Karamustafa, Ayse Öncü
  18. Poster Nathalie Richter
  19. Die Kuratorin als Toastmaster SMEK
  20. Immer wieder fragen Bücher Starship
  21. Tanzania Aids Marisa Maza, Hans-Jörg Dilger
  22. Photographie und Gedenken Diedrich Diederichsen
  23. Schieß deinen Schuß Ingo Niermann
  24. Fünf Seiten im Kopf eines Künstlers Ran Huber
  25. Mit Gitter zum Bild Burkhard Mönnich, Thomas Palme
  26. Ein Drehbuch für Silke Yilmaz Dwiezior
  27. Peter Fritz Infotage Gerhard Frommel
  28. Raumfahrt ’98 - zum Nutzen der Menschheit Frauke Gust
  29. Fotobearbeitung: Jan Timme Jan Timme
  30. SimSex Sven Barske
  31. Spekulantentheorie Jesko Fezer
  32. Kai Althoff Kai Althoff
  33. Stirbt der Mensch als Künstler - Teil 2 Dany Müller
  34. Foto Elke aus dem Moore Elke aus dem Moore
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