Die Woche über oben üben

Ulrich Heinke

„Rollos“ ist keine Eigenschaft von Jalousien!

„Das ist in unsere Dachetage in Wunstorf, mit der handgebrochenen Designerlampe. 2012 hatten wir eine Homestory in „Honey H“. Pfeffer- und Salzstreuer stellen wir auf alle unsere Tische, damit wir während des Essens nicht aufstehen müssen. Sukkulenten gehören für mich ins Zentrum jeder gut gedeckten Tafel! Hier ist es eine Crassula Platyphylla Burgundy. Sukkulenten sind die Art Pflanzen, die beim Essen auch mal den Ellenbogen auf den Tisch legen. Die Gardinenfrage ist noch offen, wir experimentieren mit den unterschiedlichsten Varianten.“

Hopo Manoush, 2014

Fotos: Helen Kiruchi

Sierre Sieders Sion Schweiz

Discothèque, Saloon, Pub, Restaurant de Nuit, Cabaret, Disco Bar, Night Club –

alles unter einem Dach! Arturo Onyx betreibt dieses Vergnügungskonglomerat in der Peripherie zwischen den Orten Siders / Sierre und Sion im Schweizer Kanton Wallis. Die Universität von Solothurn hat Arturo bestätigt, dass die Sprachgrenze zwischen der Deutsch und Französisch sprechenden Schweiz mitten über seine Tanzfläche läuft. Ein entsprechendes Zertifikat hat Arturo gerahmt und hinter dem Bartresen aufgehängt.

Foto: Erich Linkheu

Auf dem Flughafen Basel Mulhouse Freiburg (IATA Codes: BSL, MLH und EAP) betreibt Arturo außerdem das „News-Café“. Die eine Hälfte der Bar liegt auf Schweizer Zollgebiet, während sich der andere Teil in Frankreich befindet. Die Bar wurde streng symmetrisch gestaltet, die Ländergrenze ist zugleich ihre Spiegelachse. Man zahlt in Euro oder Schweizer Franken, abhängig davon, auf welcher Seite der Bar man steht.

Die Sommermonate und den Jahreswechsel verbringt Arturo in seiner Strandbar auf dem Caroline-Atoll (seit dem Jahr 2000: „Millenium Island“) im Pazifik. Dort, genau auf der Datumsgrenze gelegen, feiert Arturo zusammen mit Freunden als einer der Ersten auf unserem Planeten Silvester. Meist mit einer Flasche Melchisedech Champagner, die er per Flugzeug und Schiff aus Frankreich kommen lässt.

Foto: Erich Linkheu

„Jetzt von einem Disco-Revival zu sprechen erscheint mir etwas oberflächlich. Disco ist doch immer da, zum Beispiel im House. Einzelne Bands unter dem Begriff ‚Neo-Disco‘ zu fassen halte ich für den falschen Ansatz. Discomusik lebt von ihren ProduzentInnen, die sich zu immer neuen Kollaborationen zusammenfinden.“
(zitiert nach: Onyx, Arturo – Interview in „Hano Hou“, dem Inflight Magazine der Hawaiian Airlines, Ausgabe Oktober –Dezember 2014)

Cast:

Arturo Onyx lebte eine Zeit lang auf einem Atoll im Pazifik, um dort die Jahrtausendwende als einer der Ersten feiern zu können. Um Punkt zwölf sprengte er eine original britische Telefonzelle in die Luft. Neben seiner Tätigkeit als Musikproduzent nahm er auch eine eigene Schallplatte auf: The Millenium Atoll Booth Burst. In der Lombardei entwickelte er das Konzept des Hollywood-Gardening.

Hopo Manoush Ein Ex-Soldat. Jetzt tingelt er von Kaserne zu Kaserne, genauer von Standortschließung zu Standortschließung. Dort räumt er die Lager leer und verramscht das Zeug an die Einheimischen. Er lebt in Wunstorf bei Hannover. In der Wohnung hält er sich zwei Katzen, die Fußböden sind weiß gefliest.

Mirinda Orfei Eine Künstlerin, die ihren zierlichen Körper in alten römischen Amphoren versteckt. Eine Anti-Artistin, die den Zirkus abschaffen will. Sie ist die Initiatorin des berühmten „Die Stadt kommt in den Zirkus“ Projekts, einer Antistadt in der Carmargue. Heute probt dort das französische Militär für den Häuserkampf. (Beim Versuch, die Stadt zurückzuerobern, stand sie auf den Barrikaden Hopo Manoush gegenüber.)

Allessandro „Amex“ Markinsholz Ein Journalist mit Interesse an Zusammenhängen. Ein sammelwütiger Antiquitätenfan und Restaurantbesitzer. Ein Wanderer durch Norditalien, der dynamischsten Wirtschaftsregion Europas. Hypo Alpe Adria. Jetzt ein Mann ohne Schreibtisch, mit leer geräumten Karteischränken und flackernder Leseleuchte.

Nicht die Bohne!

Foto: Erich Linkheu

Sie übernachteten in einem kleinen Zeltlager unweit der Plantage. Mittags, wenn die Touristen kamen, hatten sie ihren Infotisch längst aufgebaut. Sie erklärten den Leuten, dass die Kaffeebohne, botanisch gesehen, gar keine Bohne ist, sondern ein Samen. Sie verteilten Flyer über die Arbeitsbedingungen vor Ort und informierten über die verschiedenen Kaffee-Siegel. Nette Touristinnen luden sie in ihr Zelt zum Tee ein.

Mirinda Orfei

Mirinda Orfei liebte diese Termine. Sie trug ein minziges Oberteil aus Zahnseide. „Uncirque your Life – Entzirkusse dein Leben.“ Zuerst erklärte sie dem Publikum, wie sie sich mühsam das Jonglieren abgewöhnte. Später entfremdete sie sich von ihren Raubkatzen; sie traute sich kaum noch in den Käfig. Die Schnurrbarthaare der Katzen wuchsen immer länger. Den Sturz eines Trapezkünstlers auf YouTube sah sie sich dutzende Male an.

Jahrelang hatte sie sich als Verkäuferin für Terrakottagefäße durchgeschlagen. Als „Schlangenfrau“ quälte sie ihren Körper dutzende Male in die Amphoren hinein, nur um den Absatz anzukurbeln. Das gelang aber nur in den Badeorten an der Küste. Touristen sahen sie in den Tontöpfen verschwinden und kauften mediterran gestaltete Wandfliesen mit Zahlen darauf. „Eine 5 und eine 0, bitte. Haben Sie auch ein kleines ‚b‘?“

Unterwegs in einem Lieferwagen auf einer Insel im Mittelmeer

Ihr damaliger Freund sammelte Prospekte von Sportwagen und stapelte diese zwischen den Strafzetteln auf dem Armaturenbrett. Unvergessen auch Mirindas Projekt: „Die Stadt kommt in den Zirkus“ in der Carmargue. Heute steht diese Siedlung leer; sie wird vom französischen Militär für Übungszwecke genutzt.

Fotos: Erich Linkheu

Better Moon

In den 70er war Discomusik so beliebt, dass es bei der NASA Pläne gab, den Mond in eine Discokugel zu verwandeln. Riesige Metallfolien, nur wenige Mikrometer dünn, sollten den Mond in einen gigantischen Spiegel verwandeln. US-Militärs wollten mit einer Atomexplosion den Mond zum rotieren bringen.

Don’t Lie To Me, Teppich!

„Wir waren für vier Jahre in einem Tretlager der Armee in Bad Kötzting. An den Wochenenden mussten wir die toten Teppiche aus den Fenstern hängen; es war eine elende Plackerei.

2014 Foto: Helen Kurichi

Helens Foto zeigt einen der wenigen Höhepunkte aus dieser Zeit. Eine Großmolkerei hatte unseren damaligen Leibkoch Radomil als Testimonial für Tsaziki (abweichende Schreibweise: Zaziki) auserkoren. Radomil war zwar Bulgare und kannte Tsaziki eigentlich als Tarator. Aber das war uns egal; wir suchten nur einen Grund zu feiern. Das Foto wurde vor dem Fest im Casino aufgenommen. Mit dem Beamer warfen wir Grafiken an die Wand. Die zeigten Tanzpaare als Schattenriss; dazu wurde der Name des Tanzes entsprechend der Musik eingeblendet: Discofox, Rumba, langsamer Walzer, usw. So wusste jeder Bescheid, was zu tanzen war. Ich konnte an diesem Wochenende allerdings nur kurz mitfeiern. Früh am Sonntag fuhr ich ins ungarische Pécs, um dort eine Kleinpflasterplastik vor dem Vasarely-Museum fertig zu stellen. Eine Art abstraktes Relief mit verschiedenen Licht- und Schatteneffekten, je nach Sonneneinstrahlung und Standpunkt des Betrachters.“
Hopo Manoush, 2014

(Es) Muss Die Musik Sein

Foto: Erich Linkheu

Arturo Onyx galt als Erfinder des Release & Catch (R&C) Angelns. Die Fische, die auf Caroline Island bei Starkregen vom Himmel fielen, wurden in buntes Krepppapier eingewickelt und nahmen so Farbe an. Später wurden die Fische im Meer ausgesetzt. Nach einer gewissen Zeitspanne, die je nach Ehrgeiz des Anglers zwischen wenigen Minuten und ein paar Jahren betrugen konnten, wurde versucht die Fische wieder einzufangen. Bisher gelang dies nur einem Angler: Saykam Phommmachhanh, ein laotischer Bienenzüchter, der im September 1997 bei Arturo zu Besuch weilte, fing einen Fächerfisch, der vier Jahre zuvor ausgesetzt worden war. Der Fisch trug klar erkennbar die Krepppapier-Färbung von 1993, ein kräftiges Orange.Arturo fragte in seinem Tagebuch: Kann ein Laternenfisch einen Mondfisch beleuchten? Kann sich der Mondfisch dabei ganz langsam um die eigenen Achse drehen? Wenn es dann zur Aufführung kommt, oder gar eine Tournee daraus wird, macht es dann nicht Sinn einen Kofferfisch mitzunehmen?

Gleich neben der Sanduhr

Jewgeni öffnete die Augen und sah sich kurz um. Er lag auf einem schmalen Bett, vor ihm an der Wand hing eine rot-grün karierte Wolldecke. Eine merkwürdige Stickerei war darauf zu sehen, unzählige goldene Fäden ergaben ein abstrakt-geometrisches Muster; es sah aus wie ein Zirkuszelt oder ein Muffin.

Neben ihm auf dem Nachtschrank stand eine Sanduhr, jedenfalls der Form nach war es eine. Statt Sand befand sich im Inneren der Uhr allerdings ein neonfarbenes Gel. Jewgeni drehte die Uhr herum, das Gel troff durch die Engführung des Glaskolbens und verteilte sich wie ein zäher Brei auf dem Boden. Entsetzlich, dachte Jewgeni, so etwas hatte selbst die Zeit nicht verdient.

Jewgeni beschloss aufzustehen. Er schwang sich aus dem Bett und musste aufpassen, nicht an die niedrige Decke zu stoßen. Trotz der geringen Höhe machte das Zimmer einen luftigen Eindruck. Die Wände waren weiß gekalkt, der darunter liegende Putz an vielen Stellen brüchig. Auch die Holzbalken der Decke waren weiß angepinselt. Jewgeni blickte aus dem schmalen Giebelfenster in den Hof. Sein Lieferwagen versperrte die Ausfahrt, aber Melodie benutzte nie den alten Fiat, der in der Garage stand. Es gab nur wenige Autos im Dorf. Die Bauern teilten sich zwei Traktoren, die in einem Schuppen unterhalb der Dorfstraße standen. Im Dorf gab es seit 40 Jahren keine Tankstelle mehr. Die Bauern benutzten einen alten Heizöltank, den sie mit Diesel füllten. Mit einer einfachen Handpumpe versorgten sie die Traktoren mit Sprit.

Jewgeni schob ein paar Kartons gefüllt mit Keramik an die Ladekante seines Lieferwagens. Dann hievte er drei davon auf ein Sackkarre. In einem der unteren Kartons gab es ein lautes Knacken. Oh, wie er dieses Keramikzeug hasste! Er war immer dagegen gewesen, aber Miranda wollte es so. Empfindliches Gut und noch dazu so schwer.

Korbwaren waren ihm um einiges lieber. Zwar war der Lieferwagen sofort voll geladen mit dem bisschen Geflecht, aber die Sachen waren nicht so empfindlich wie der Töpferkram. Töpferkram: Tatsächlich musste man sich beim Einpacken Gedanken machen. Nichts wanderte unbedacht in den Karton. Es wollte eingewickelt werden, durfte nicht gedrückt werden. Körbe dagegen stapelte er geschickt; ohne große Anstrengung konnte er den Van beladen. Er hatte kein bestimmtes Muster, aber es ergaben sich Schwerpunkte. Der Laderaum voller Körbe war wie ein urbanes Geflecht, es gab Bündelungen, aber auch Leerräume. Die Keramik dagegen verschwand in Kartons, nicht mal die Deckel durften sich wölben; sein Lastwagen mutierte zum Containerdorf.

Er schob die Sackkarre Richtung des kleinen Lageraums, der einmal die Motorradwerkstatt seines Onkels Arturo gewesen war, und ließ die Kartons in eine Ecke krachen. Keramik, die dieses Jahr nicht lief, wird es auch im nächsten Jahr nicht tun, dachte er sich. Jewgeni erinnerte sich daran, dass er nicht mehr als zwei Kartons aufeinander stapeln sollte. Die Erinnerung kam immer dann, wenn er drei Kartons in die kleine Werkstatt schob.

Hopo Manoush hatte ihm eine Nachricht aufs Handy geschickt. Manoush hatte 6000 Rollen flexible, selbstklebende Scheuerleisten aus Militärbeständen erstanden. Die sollten nun von der alten Kaserne runter zum Hafen gebracht werden. Jewgeni sollte den Transport übernehmen. Er konnte sich zuerst keine Vorstellung darüber machen, wie viel 6000 Rollen denn nun so waren. Tatsächlich waren es 30 Gitterboxen mit je 200 Rollen, machte zehn Fahrten zum Hafen und zurück. Drei Gitterboxen bekam Jewgeni in seinen Transporter, aber nur, wenn er die hinteren Türen offen ließ. Dann zogen Abgasschwaden in den Innenraum und Jewgeni konnte nur mit herunter gekurbelten Fenstern fahren. Zu dieser Jahreszeit war es im Hinterland der Insel schon empfindlich kalt, noch dazu wollte Hopo die Kisten schon morgens um 7 Uhr am Hafen haben. Dort sollten sie dann auf einen größeren Lastwagen umgeladen werden und mit der 8 Uhr Fähre zum Festland gebracht werden. Ein ehrgeiziger Plan, wieder einmal.

Die Botschaft

Mirinda arbeitete in den unteren Rängen einer Botschaft in Berlin. Die Vertretung eines kleinen, ziemlich frischen europäischen Landes mit politischem Einfluss unter der Wahrnehmungsschwelle und einer Kulturhauptstadt so um 2019.

Mirinda war stolz auf ihren schwarzen Nissan Tiida. Die Front hatte etwas Staatsmännisches; ein ziemlich ernster Gesichtsausdruck für ein unscheinbares Auto. Gerne hätte Mirinda sich in die Autoflotte der Botschaft eingereiht. Sie hatte sich sogar schon nach einem Standartenhalter für die vorderen Kotflügel erkundigt, aber eine Autosternfahrt ihrer Botschaft war ziemlich unwahrscheinlich. Ihre Kollegen sind in schicken Mittelklasselimousinen unterwegs, in den aktuellen Modefarben. Da lässt sich keine Systematik erkennen, an eine gemeinsame Ausfahrt ist nicht zu denken.

Dampfwäscherei

In den Wintermonaten arbeitete Jewgeni bei seinem Onkel Arturo in Neapel. Der betrieb dort eine Dampfwäscherei für Segel und Taue. (Übrigens die einzige auf dem europäischen Festland. Eine weitere gab es angeblich noch in Cardiff, Wales. Sein Onkel hatte aber nie den Kontakt dorthin gefunden.)

Arturo hielt ein Patent auf das Waschen von Tauen. Um ein Verknoten in den riesigen Waschtrommeln zu vermeiden, wurden die Taue auf spezielle Gestelle aus rostfreien Stahl gewickelt. Diese bugsierte man dann in die Trommeln. Um den entstehenden Lärm in den Trommeln ein wenig zu dämpfen, steckte man aufgeschnittene Tennisbälle auf Kanten und Ecken der Gestelle. Die Bälle lösten sich aber während des Waschens ab und die Maschinen lärmten zum Ende des Waschgangs ganz gehörig. (Die Segel einfach zu Säcken zu verknoten und die Taue dort hineinzustopfen, hatte sich nicht bewährt, die Segel wurden dabei beschädigt.)

Im Winter wurden überwiegend Wartungsarbeiten ausgeführt. Nur wenige Maschinen liefen. Besonders die riesigen Schleudern zum Trocknen der Taue und Segel waren nach der Saison nicht mehr zu gebrauchen. Ausgeschlagene Lager, so groß wie die Reifen einer Vespa, mussten ausgetauscht oder wenigstens frisch gefettet werden.

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