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        Gespräch G.Karamustafa / Ayse Öncü 
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       G.K.: Die zum großen Teil auf Frauenarbeit 
        aufgebaut ist.  
      A.Ö.: Ja, sie hängt zum Großteil 
        von weiblicher Arbeit ab. Aber der "Touristen-Handel" hat paradoxe Auswirkungen 
        auf die Bekleidungsindustrie. Die Händler, die zumeist aus Rußland oder 
        den verschiedenen Balkan-Ländern kommen, handeln auf Cash-Basis, sie bringen 
        Unmengen von Bargeld buchstäblich in ihren Koffern. Sie kaufen riesige 
        Mengen.  
        Aber sie nehmen die Ware auch sofort wieder mit sich zurück. Dieser Handel 
        benötigt die Anwesenheit eines "Tourists/Händlers", der in  
        kürzester Zeit riesige Mengen Stoff oder fertige Kleidung benötigt und 
        dafür das Geld mitbringt und auf der Stelle bezahlt. Dadurch hat sich 
        die Bekleidungsindustrie in Istanbul verstärkt auf diese kurzfristigen 
        und unvorhersehbaren Nachfragen des "Touristenhandels" eingestellt, auf 
        Kosten einer langfristigeren strategischen Planung, die notwendig wäre, 
        um einen Anteil am europäischen oder globalen Markt zu bekommen.  
      Der Zustrom von Bargeld hat eine "Marktblase" 
        erzeugt, die durch die sich verändernden Wetterlagen der internationalen 
        Politik extrem verletzlich ist. Dadurch, daß viele ausgebildete Handwerker 
        ihre eigenen Betriebe eröffnet haben, um einen Anteil am Touristenhandel 
        herauszuschlagen, ist es zu einer verstärkten Fragmentierung der Herstellerbetriebe 
        gekommen. Die Ausbreitung solcher kleinmaßstäblicher Betriebe heißt aber 
        auch, daß immer mehr junge Mädchen in Anstellungen unter "Sweat shop"-Verhältnissen 
        in der Istanbuler Bekleidungsindustrie arbeiten. Kleinunternehmen können 
        leichter das Arbeitsrecht, die Sozialversicherung und die Steuern umgehen. 
       Dadurch ist es zumeist junge weibliche 
        Arbeit, die das auszubaden hat. Es ist notwendig mitzudenken, daß die 
        Steigerung des "Kofferhandels" parallel mit einer substantiellen Steigerung 
        der "illegalen" Arbeitsmigration über die Grenzen zu sehen ist.  
      G.K.: Das habe ich vor kurzem ebenfalls bemerkt, 
        als ich durch die "Border Trade" Märkte der Stadt spaziert bin. Überall 
        sieht man Gruppen junger Leute, die auf illegale Arbeit warten. 
      A.Ö.: Netzwerke, die sich über Grenzen erstrecken, 
        handeln sowohl mit Gebrauchsgütern, wie mit unerlaubter Arbeitsmigration. 
        Sie handeln auch mit Menschen, meistens Frauen.  
        
       
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       G.K.: Meinen Sie Formen der Prostitution?  
      A.Ö.: Verknüpft mit Arbeitsnetzwerken. Zur Zeit 
        kommen vor allem rumänische ArbeiterInnen nach Istanbul. Auch nach Griechenland 
        gibt es diese Bewegung von Arbeit, aber es sind vor allem junge Frauen, 
        die in der Hauswirtschaft arbeiten, die nach Griechenland reisen. Nach 
        Istanbul kommen vor allem junge männliche Arbeitskräfte, die unter "Sweat 
        shop"-Bedingungen arbeiten.  
      Als buchstäblich "Illegale" müssen sie sich vor der Polizei 
        verstecken. Sie beziehen sehr niedrige Einkommen und genießen keinerlei 
        sozialen Schutz. Die Polizei macht Razzien, ignoriert aber zum großen 
        Teil die Situation. Insgesamt wird Istanbul durch diese verschiedenen 
        Netzwerke auf eine Art verändert, die wir erst verstehen müssen.  
        Was wir beobachten, ist eine zunehmend fragmentierte Stadt. Das ist offensichtlich, 
        man muß keine großen Recherchen anstellen, um diese Fragmentierung zu 
        sehen. Aber der Begriff "Fragment" beinhaltet die Vorstellung von nicht 
        in Beziehung stehenden oder unverbundenen Teilen. 
       Aber diese die Grenzen überschreitenden Netzwerke sind 
        eher in die Struktur der Stadt eingedrungen. Das heißt sie sind mit dem 
        täglichen Leben der Menschen in einer Art verstrickt, die wir noch nicht 
        zu untersuchen begonnen haben. Vielleicht sollte ich auch anfügen, daß 
        das Thema der "Mobilen Bevölkerung" auch eine größere Theorieebene in 
        der Literatur benötigen würde.  
      Es gab immer mobile Bevölkerungsschichten. Migration 
        war immer Teil der Stadt. Aber die momentane Mobilität von Bevölkerungsschichten 
        über nationale Grenzen, von Koffer-Händlern, regulären Touristen oder 
        ArbeitsmigrantInnen, ist historisch ohne Vorgänger. Wir wissen noch wenig 
        darüber, wie diese mobilen Bevölkerungen Städte in kultureller Art verändern. 
        Es gibt eine Reihe ökonomischer Untersuchungen über transnationalen Handel 
        und Arbeitsmobilität. Der kulturelle Aspekt sollte weiter untersucht werden. 
        Wir sind über sehr breitgefaßte Generalisierungen von kultureller Hybridität 
        noch nicht hinaus.  
      Zum Schluß möchte ich hinzu fügen, daß sich die transnationalen 
        Netzwerke zwischen Istanbul und den osteuropäischen Ländern ebenfalls 
        verändern. Zunächst waren es persönliche Kontakte und individuelle Beziehungen, 
        die die Grundlage der Bewegung über die Grenzen bestimmt hat. Dieses Bild 
        scheint sich zu ändern, da Mafia-artige Organisierungen den Platz zu übernehmen 
        scheinen. Der "informelle" oder "illegale" Charakter der Transaktionen 
        bietet fruchtbaren Boden für kriminelle Organisationen, die Schutz für 
        Geld anbieten können. Egal ob wir über MigrantInnenarbeit, "Kofferökonomie" 
        oder Frauen, die als Waren verkauft werden, reden, scheint das der Fall 
        zu sein. 
      
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