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        Gespräch G.Karamustafa / Ayse Öncü 
       (2) 
        
        
 G.K: 
        Kann man das mit einem politischen Ansatz verknüpfen?  
      A.Ö.: 
        Man kann sicherlich argumentieren, daß der politische Diskurs des Islam 
        sich in der Türkei verändert hat. Früher ging es darin vor allem um solche 
        Themen wie Ungerechtigkeit, Ausschluß oder Marginalisierung. Dieser Diskurs 
        hatte eine Anziehungskraft auf WählerInnen in nicht legalisierten Wohnvierteln, 
        wo die EinwanderInnen leben. Jetzt entwickelt der Islam eine Sprache des 
        Erfolgs. Eine Sprache, die Glauben mit steigendem Konsum von Waren versöhnen 
        kann.  
      Gibt es eine islamische Form von Vergnügen? 
        Können Leute, die sich mit dem Islam identifizieren, Spaß haben? Inwieweit 
        unterscheiden sich ihre Ferien von denen säkularer Familien? Ich glaube, 
        daß diese Fragen den Versuch einer Versöhnung von Glauben mit dem, was 
        Bourdieu Geschmack nennt, darstellen. Eine geschmackvolle Art des Konsums, 
        für IslamistInnen.  
      Dieser Prozeß einer Verhandlung von Glauben 
        und Geschmack ist auf verschiedene Art und Weise in den Vordergrund getreten. 
        Man kann ihn klar in der Werbung der islamischen Fernsehkanäle beobachten. 
        Er schlägt sich im Gewebe der Stadt, in der zunehmenden Zahl islamischer 
        Siedlungen - "sites", wie man sie auf türkisch nennt - nieder, die öffentliche 
        Beteinrichtungen und öffentliche Plätze, die man "gendered" nennen kann, 
        besitzen. "Gendered" heißt in diesem Fall ein Bauprinzip, durch das die 
        Trennung von Männern und Frauen leicht durchzuführen wäre.  
      G.K.: Wir sprechen hier von Konsum. 
        Ich möchte unser Gesprächsthema an diesem Punkt an eine Situation knüpfen, 
        die man in Istanbul überall beobachten kann. In unserem Projekt beschäftigen 
        wir uns mit einer neuen Form von Handel, mit der wir seit Anfang der 90er 
        und seit den Veränderungen in den osteuropäischen Ländern und der Sowjetunion 
        konfrontiert sind. Es ist eine neue Wirtschaftsform, die "Kofferökonomie"(suitcase 
        economy) genannt wird und vom Staat illegal unterstützt wird. Ich würde 
        gern wissen, wo Sie diesen Faktor in das Szenario der Globalisierung plazieren. 
         
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       A.Ö: Was in einem Gespräch über Globalisierung 
        immer betont wird, ist die Erosion nationaler Wirtschaftsgrenzen, dadurch 
        daß Finanz- und Warenmärkte auf internationaler Ebene zusammengefaßt werden. 
       
      Das wird durch die Bestrebungen der Regierungen unterstützt, 
        das Hereinströmen von ausländischem Finanzkapital und den eigenen Export 
        zu fördern. Die Türkei bildet da keine Ausnahme. "Der Freie Markt" und 
        die Integration in globale Märkte war seit mehr als zwei Jahrzehnten die 
        offizielle Politikrichtung. Dennoch sind nationale Grenzen nicht verschwunden. 
        So ist parallel zur Integration in den globalen Markt eine blühende "informelle" 
        Ökonomie entstanden, die gerade von der Existenz nationaler Grenzen abhängt. 
        Das ist es, was häufig "Touristen-Handel" (tourist trade) oder "Koffer-Handel" 
        (suitcase trade) genannt wird. Er beruht auf der Existenz von Grenzen 
        zwischen benachbarten Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen 
        und unterschiedlichem Einkommensniveau. "Informell" ist er in dem Maße, 
        als er nicht in offiziellen Statistiken aufscheint.  
      Zum Beispiel gibt es eine nicht aufgezeichnete Größe 
        existierenden "informellen" Handels der südlichen türkischen Provinzen 
        über die Grenze in den Irak, nach Syrien etc. Dieser Handel verwendet 
        existierende informelle Netzwerke und wird offiziell nicht registriert. 
        Möglicherweise kann also der zunehmende "Touristen-Handel" mit der früheren 
        Sowjetunion als Teil eines größeren Phänomens betrachtet werden.  
        In Istanbul gibt es heute zum Beispiel offene Märkte, die sich auf den 
        Handel mit zentralasiatischen Ländern spezialisiert haben. Gleichzeitig 
        findet man in Istanbul Bezirke, wo man eine Vielzahl an Gegenständen, 
        die aus dem Iran oder anderen arabischen Ländern kommen, kaufen kann. 
        Worauf ich hinaus möchte, ist, daß die Globalisierung des Marktes gleichzeitig 
        auf dem formellen und dem informellen Sektor stattgefunden hat. Diese 
        Ausdehnung formeller und informeller Handelsnetzwerke ist auch ein wichtiger 
        Bestandteil der zunehmenden Sichtbarkeit des Islams in Istanbul. Um zum 
        "Touristen-Handel" (Tourist Trade), "Grenz-Handel" (Border Trade), Koffer-Handel 
        (Suitcase Trade), oder wie auch immer man das nennen möchte zurückzukommen, 
        der Einfluß auf die Ökonomie der Konsumenten war riesig. Er ist zu einem 
        bestimmenden Bestandteil der sich in Istanbul entwickelnden Wirtschaft 
        geworden. Die wichtigsten Auswirkungen waren natürlich auf die Bekleidungsindustrie. 
       
      
         
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