Fünf Identitäten und ein Erlebnisbericht

Immer wieder fragen Bücher...

Waren heute in der Grey Gallery der New York University und sahen eine Retrospektive von Brian O'Doherty, einer unsichtbaren Koryphäe der Konzept-Kunst. Er wurde weltberühmt duch ein Buch Mitte der 70er: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space. Es ist eine kritische Aufsatzsammlung über die unscheinbare Beeinflussung der weißen Galeriewände auf die ausgestellten Werke. Es kennzeichnet den Wandel einer Kunstwerk-orientierten Moderne in eine kontextualisierte Postmoderne, in der die Galeriewände als Teil eines künstlerischen Arbeitsmaterials entdeckt wurden; kurz, der Weg vom Kunstobjekt zur Kunstinstallation.

Brian O'Doherty ist Ire und 1928 geboren. Er war ursprünglich Doktor und wurde in den 60ern ein Künstler. Interessant an ihm ist, dass er im Laufe seines Lebens fünf Pseudonyme entwickelte.

O'Doherty, der Buchschreiber und Kunstkritiker der New York Times.

Patrick Ireland ist sein Künstlername. Diesen legte er sich 1972 zu, als Protest, auf ein grauenhaftes Massaker der Englischen Armee an friedlichen Irischen Demonstranten. Als Bloody Sunday ging der Tag in die Geschichte ein. 13 Tote gab es und O'Doherty schwor sich, diesen Namen so lange beizubehalten, bis das Britische Militär Nord-Irland verlassen würde und dessen Bürgern Menschenrechte zugesteht. Genau dies, der Britische Truppenabzug, ist im späten August dieses Jahres geplant. Wie O’Doherty im politischen Zusammenhang sagte: "Life, not art, is the prime value."

Siegmud Bode ist sein ältestes Pseudonym und stammt noch aus den 50ern als er Medizin und Kunst studierte. Ein Name in Anspielung auf Siegmund Freud und Wilhelm Bode, letzterer ein Berliner Museumsdirektor und Künstler Anfang der 20er Jahre.

In dieser Identität produzierte O'Doherty kleine, Paul Klee ähnliche Zeichnungen. Sie transformierte sich im Laufe der Geschichte in die eines Kunstanalytikers.

In den frühen 70ern veröffentlichte O'Doherty unter den Namen Mary Josephson einige Parabeln und Kunstkritiken. Aufgewachsen in einer streng katholischen Familie war Brian O' Dohertys Zweitname Mary und sein Konfirmationsname Joseph. Ursprünglich hieß er also Brian Mary Joseph. Dies ist mehr als nur eine biographische Eigentümlichkeit, sondern eine transvestite Person und eine Art Inkarnation der heiligen Familie.

William Maginn, eine weitere O'Doherty-Identität, dient als Wink zu einem irischen Poeten aus dem 19ten Jahrhundert, der selbst wieder mehrere Identitäten hatte, unter anderem Morgan O'Doherty. Unter diesem Pseudonym sammelt O'Doherty Materialien für einen Roman The Deposition of Father Mc Greevy; - seinem Doppelgänger aus dem 19. Jahrhundert.

O' Dohertys Identitäten sind komplex, teils undefiniert und labyrinthisch verschränkt. Sie legen oft Fährten, die plötzlich abbrechen.

Es gibt ein Foto aus unserem beginnenden Jahrtausend, Five Identities, auf dem alle Pseudonyme als Personen ge-outet und versammelt sind. Im Zentrum, Patrick Ireland, der Künstler als IRA Sympathisant, mit weißem Strumpf überm Kopf; rechts außen, Sigmund Bode, bärtig, in konservativem Anzug und steifem Hut; William Maginn als Dandy; Brian O'Doherty, etwas abseits stehend, dynamisch mit Lederjacke und schlussendlich im Vordergrund sitzend die Drag-Queen Mary Josephson.

Die Arbeiten der Ausstellung, zum größten Teil von der Hand Patrick Irelands, sind konzeptuell-minimalistische Hybride. Sie enden immer in einem Objekt.

Zum Beispiel analysierte er graphisch ein wichtiges Schachduell aus dem 19ten Jahrhundert. Er entwarf ein Schachset, Labyrinthe, oder The Critic's Boots, zwei halbhohe Stiefel zugepflastert mit Kritiken, die er als Brian O'Doherty für die New York Times schrieb.

Talk to Bramante ist eine neue Installation aus der rope series, in der Ireland den weißen Galerieraum dekonstruiert. Fein gespannte Fäden durchkreuzen den Galerieraum und korrespondieren mit einer flachen geometrischen Wandmalerei. Im genannten Fall sind es Fassaden-Proportionen Bramantes. Der scheinbar neutrale Galerieraum selbst wird zum Objekt. Heutzutage nichts Aufregendes mehr, aber zu Zeiten der Publikation Inside the White Cube galt die Feststellung, dass der Galerieraum und seine soziokulturelle Struktur zum Wert und zur Bedeutung des Kunstwerkes beitragen, als revolutionär.

Wie auch immer, als ich im Untergeschoss der Ausstellung eine Aufnahme eines Vortrages von Duchamp hörte, den O'Doherty in den 60er Jahren organisiert hatte, sah ich einen älteren Herren, groß, gepflegt und gut aussehend mit weißem, feinsäuberlich nach hinten gekämmten Haar vorbeimarschieren.

Später, auf dem Weg nach draußen, warf ich noch einen Blick in den Katalog und es zeigte sich, dass es jener Herr O'Doherty persönlich war und die Rezeptionsdame bestätigte dies. Ich beschwerte mich, warum ich dies nicht vorher erfahren hatte, denn bei all den textlastigen Arbeiten ist ein Fachkundiger sehr hilfreich, und wer ist nicht fachkundiger als der Künstler selbst.

Kaum auf der Strasse, sah ich ihn mit seiner Frau, und in etwas ruppiger Manier - Ich konnte mich nicht halten - ging ich auf ihn zu und gratulierte ihm zu seiner Arbeit und stellte ihm eine Frage über sein Schachwerk. Erst etwas zögerlich, entschloss er sich, mit uns zurück in die Galerie zu gehen, um meine Frage zu verstehen.

Es stellte sich heraus, dass die 15 weißen nicht gefärbten Schachfelder gar keine tiefere Bedeutung hatten, dass er halt das Schachbrett nicht zu Ende eingefärbt hatte. Jedenfalls gab er uns eine kleine, sehr interessante Führung, erzählte über seine Identitäten, - Eine Art Schutz, da er sich ungern in der Öffentlichkeit zeigt. Er war ein guter Freund von Marcel Duchamp gewesen, der anscheinend immer darüber klagte, dass nur Totes im Museum sei. Um den Gegenbeweis zu erbringen, lud er eines Tages Duchamp zum Abendessen ein und machte eine Elektrokardiographie von ihm (er war ja mal Doktor).

Daraus machte O'Doherty eine Arbeit, Portrait of Marcel Duchamp, ein kleiner Krankenhaus Bildschirm, auf dem man den Herzschlag als Graphen pulsieren sieht. Für O'Doherty, den Künstler, verkörpert dieser Pulsschlag Leben. In meinen Augen etwas vordergründig, denn der Pulsschlag wirkt tot, wie jedes andere Objekt, aber ein gewisser Duchampscher Witz ist der Arbeit nicht abzusprechen. Das Leben reduziert zu einem pulsierenden Graphen, das ist die tägliche Wirklichkeit eines jeden Chirurgen. Hier begegnen sich wissenschaftlicher Rationalismus und minimalistischer Reduktionismus.

Portrait of Marcel Duchamp, slow heartbeat ist ein Double der zuvor beschriebenen Arbeit, nur ist der Herzschlag verlangsamt und steht für ewiges Leben Duchampscher Ideen. Dazu fabriziert Patrick Ireland einige Grafiken, die den Herzschlag grafisch analysieren. Diese Mehrfachverwertung einer guten Idee verrät den Druck des Kunstmarkts und trägt nicht unbedingt positiv zum Gesamteindruck seines Werkes bei.

Reduktion und Rationalismus, der in Nonsens mündet, sind allgemeine Merkmale Patrick Irelands Arbeiten und dies zeigt sich auch sehr gut in seinen performativen Arbeiten, die er und O'Doherty, teils mit Hilfe von Schauspielern, zwei Tage später in der Galerie vorführten.

In A Structural Play wird das Schachspiel auf neun Felder und zwei weiße Figuren reduziert, die theatralisch gegeneinander spielen. In den Vokalgedichten wird Sprache auf die Vokale reduziert. Patrick Ireland persönlich stotterte und schrie die Vokale, eine Art Peinlichkeit im Zuhörer auslösend. Schließlich die Intonationsdialoge, in welchen ein Satz von zwei Schauspielern immer unterschiedlich betont vorgetragen werden. HOW are you?, How ARE You? How Are YOU? etc.

O' Doherty mit seinen Identitäten unterrichtete in der Long Island University und wir fragen uns, ob er mit seiner Poly-Identität auch mehrer Gehälter bezog.

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